Verfahrensinformation

GLYPHOSAT – Genehmigung des Pestizidwirkstoffs - Aurelia Stiftung und [GGSC] lassen Verlängerung der Genehmigung überprüfen

[GGSC] Pressemitteilung
28.02.2023

Das Verfahren über die Neugenehmigung für den umstrittenen Pestizidwirkstoff Glyphosat dauert an. Die Genehmigung für das Breitband-Herbizid war eigentlich bis zum am 15. Dezember 2022 befristet. Die EU-Kommission hat aber kürzlich diese Genehmigung zunächst um ein weiteres Jahr – bis zum 15. Dezember 2023 – verlängert. Zumindest während des andauernden Genehmigungsverfahrens sollen daher nach dem Willen der Kommission der Wirkstoff und die daraus hergestellten Pestizide weiter vermarktet und eingesetzt werden können.

Dies steht nach der Rechtsauffassung von [GGSC] nicht im Einklang mit den maßgeblichen Anforderungen des Unionsrechts. Im Auftrag der Aurelia Stiftung haben unsere Rechtsanwält:innen Dr. Achim Willand und Sarah Hoesch deshalb bei der EU-Kommission beantragt, die Verlängerungsentscheidung zu überprüfen und aufzuheben. Im nächsten Schritt kann die Verlängerung der Genehmigung in einem Verfahren beim Europäischen Gericht (EuG) überprüft werden. 

Rechtsanwalt Dr. Achim Willand, [GGSC]:
„Die schon nahezu routinemäßige Verlängerung von Genehmigungen für Pestizid-Wirkstoffe macht die systematischen und methodischen Probleme im Verfahren deutlich. Die vorgeschriebene aktualisierte Risikoprüfung für Glyphosat konnte bis heute wegen der Datenlücken und ungeklärter methodischer Fragen nicht abgeschlossen werden. Diese Praxis der Kommission steht mit zwei maßgeblichen Grundsätzen des EU-Pflanzenschutzrechts meines Erachtens nicht im Einklang:
1. Nur nachweislich sichere Pestizid-Wirkstoffe dürfen vermarktet werden (enge Ausnahmeregel);
2. Im Zweifel Vorrang des Umwelt- und Gesundheitsschutzes gegenüber wirtschaftlichen Interessen.“

Die Kommission stützt sich au Art. 17 der EU-Verordnung über Pflanzenschutzmittel (Nr. 1107/2009). Danach kann sie eine eigentlich erloschene Genehmigung für die Dauer des Verfahrens über die Neugenehmigung verlängern. Voraussetzung ist allerdings, dass der Antragsteller – hier das Konsortium der Glyphosat-Hersteller – für die Verzögerung nicht verantwortlich ist.

Auf Grund einer solchen Verlängerungsentscheidung können Pestizidwirkstoffe, die noch keine umfassende Risikoprüfung auf dem aktuellen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis durchlaufen haben, ausnahmsweise vorübergehend weiter vermarktet und eingesetzt werden. 

Darin liegt eine Durchbrechung des elementaren Ziels des EU-Pflanzenschutzmittelrechts: es dürfen nur Wirkstoffe in Pestiziden verwendet werden, die nachweislich sicher sind und nach aktueller Risikoprüfung alle Genehmigungsvoraussetzungen erfüllen. Daher darf die Kommission von ihrer Befugnis nur im Ausnahmefall Gebrauch machen und erloschene Genehmigungen nur zeitlich eng begrenzt verlängern. Die Belange des Gesundheits- und Umweltschutzes sowie das Vorsorgeprinzip sind zu berücksichtigen.

Hauptgrund für die Verzögerung im Glyphosat-Verfahren ist, dass die von der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) erwartete Stellungnahme zur Risikobewertung erst im Juli 2023 - also 1 Jahr später als vorgeschrieben - vorgelegt werden kann. Das Verfahren zur Erneuerung der Genehmigung für Glyphosat läuft allerdings bereits seit Dezember 2019. Behörden verschiedener Mitgliedstaaten haben die umfangreichen Genehmigungsunterlagen mit einer Fülle von Studien zu den Eigenschaften und Auswirkungen von Glyphosat bewertet und im Juni 2021 ihren sehr umfangreichen Bewertungsbericht vorgelegt.

Die Experten der Mitgliedstaaten konnten die Risikobewertung allerdings wegen erheblicher Datenlücken und offener methodischer Fragen nicht abschließen. So konnten beispielsweise die Auswirkungen von Glyphosat auf Wasserorganismen, Rückstände in Produkten sowie Risiken für Bienen aufgrund von Datenlücken nicht abschließend bewertet werden. Diese Lücken in der Risikobewertung auf Grund unzureichender Daten und offener methodischer Fragen sind in dem Bewertungsbericht der Mitgliedstaaten im Einzelnen ausgewiesen.

Mehrfach mussten im Verfahren Unterlagen, Informationen und Daten von dem Antragsteller nachgefordert werden. Ein Grund für die Verzögerung der EFSA-Stellungnahme ist nach Angaben der Kommission, dass die vom Antragsteller nachgelieferten Daten immer noch ausgewertet werden.

Die weitere Verlängerung der bereits seit ca. 3 Jahren laufenden Risikobewertung seitens der Kommission widerspricht unseres Erachtens den geltenden Verfahrensregeln. Insbesondere ist dort nicht vorgesehen, dass die Frist für die EFSA-Stellungnahme verlängert wird.

Es war Aufgabe des Antragstellers, innerhalb der Fristen des Verfahrens den Nachweis der Unschädlichkeit von Glyphosat für die vorgesehene Verwendung und sämtlicher Genehmigungsvoraussetzungen zu erbringen. Dieser Nachweis wurde innerhalb der vorgegebenen Verfahrensschritte offenkundig nicht erbracht. Vielmehr konnte die Risikobewertung von den Behörden maßgeblich auf Grund von Datenlücken nicht abgeschlossen werden. Die daraus resultierenden Verzögerungen liegen – anders als die Kommission meint – im Verantwortungsbereich des Antragstellers. 

Statt den Herstellern durch die unzulässige und übermäßige Ausdehnung des Genehmigungsverfahrens „über die Klippen zu helfen“, hätte die Kommission die Wirkstoffgenehmigung auslaufen lassen müssen. Die Erneuerung der Genehmigung ist im jetzigen Verfahrensstadium ausgeschlossen, weil relevante Risiken des Wirkstoffs bisher nicht abschließend geprüft werden konnten.

Glyphosathaltige Pflanzenschutzmittel werden in der Europäischen Union in sehr großem Umfang eingesetzt, mit gravierenden Auswirkungen auf die Biodiversität – insbesondere auch auf Lebensräume und Nahrungsgrundlagen für Insekten. Erhebliche Glyphosatrückstände werden immer wieder in dem Naturprodukt Honig nachgewiesen. Ein Imker in Brandenburg, der seinen glyphosatbelasteten Honig vernichten musste, erhält deshalb auf Grund eines aktuellen Gerichtsurteils Schadensersatz von dem Landwirt, der das Herbizid eingesetzt hat.

Zum verfahrensrechtlichen Hintergrund: Umweltverbände können Maßnahmen der Kommission im Bereich des Umweltschutzes regelmäßig nicht unmittelbar vor den EU-Gerichten anfechten. Nach der völkerrechtlich verbindlichen Aarhus-Konvention sowie der EU-Verordnung 1367/2006 können Umweltverbände jedoch verlangen, dass die Kommission die Maßnahme überprüft und neu entscheidet. Dieser Anspruch auf Überprüfung kann beim Europäischen Gericht in Luxemburg (EuG) durchgesetzt werden.

Erst seit der Novellierung dieser EU-Verordnung in 2021 können auch Genehmigungen für Pestizidwirkstoffe in diesem Verfahren von der Kommission und den EU-Gerichten überprüft werden. Die Aurelia Stiftung hatte sich zuvor gemeinsam mit anderen Verbänden für dieses nun geschaffene Klagerecht der Verbände eingesetzt. Erstmals kann jetzt ein Umweltverband die Genehmigung für Glyphosat bzw. deren Verlängerung durch die Kommission überprüfen lassen – und durch das EU-Gericht, falls erforderlich.

Die Verlängerung der Genehmigung für Glyphosat trotz nicht abgeschlossener aktueller Risikoprüfung ist kein Einzelfall: Die Kommission hat die Genehmigung zahlreicher Pestizidwirkstoffe wegen solcher Verfahrensverzögerungen verlängert.

Das nun von [GGSC] im Auftrag der Aurelia Stiftung eingeleitete Überprüfungsverfahren soll auch dieser Praxis der Kommission entgegentreten, die letztlich wirtschaftlichen Interessen Vorrang vor dem Umwelt- und Gesundheitsschutz gibt. 

Download der [GGSC] Verfahrensinformation

Der vollständige Antrag ist auf der Website der EU-Kommission veröffentlicht:
703613 - GGSC - AURELIA STIFTUNG- GLYPHOSAT_ ANTRAG AUF ÜBERPRÜFUNG

Pressemitteilung Aurelia Stiftung vom 28.02.23

Nachfragen bitte an:
Rechtsanwalt Dr. Achim Willand

Tel. +49 (0)30 – 726 10 26 0
E-Mail: willand@ggsc(dot)de