Corona – Lösungsansätze und dringende Probleme
Neben den in fast allen Industriebereichen auftretenden Verzögerungen und Kostensteigerungen steht in der Energiebranche auch die Versorgungssicherheit auf dem Spiel. Energieversorger holen teilweise Ruheständler zurück, um im Extremfall ihre Leitwarten besetzen zu können.
Da es gilt, Versorgungsengpässe und Blackouts in der Krise erst Recht zu vermeiden, stellt sich hier wie für Kranken- und Pflegeeinrichtungen die Frage, wie eine ausreichende Besetzung sichergestellt werden kann. Anders als für die meisten Wirtschaftsbereiche geht es in der Energiewirtschaft nicht nur darum, corona-bedingten wirtschaftlichen Einbrüchen und Stagnation entgegenzuwirken, sondern soweit die Energieversorgung insgesamt betroffen ist, auch darum, die Daseinsvorsorge aufrechtzuerhalten. Damit sind Fragen des Infektionsschutzgesetzes (IfSG), der Katastrophenschutzgesetze der Länder sowie des Arbeitsrechts (ArbZG) betroffen, die an dieser Stelle nicht weiter vertieft werden sollen.
Ebenso sind organisatorische und technische Vorkehrungen durch Betreiber kritischer Infrastrukturen i. S. d. BIS-KritisV zu beachten. Die am Netz befindlichen erneuerbaren Energien sind im Allgemeinen aber wenig kontroll- und wartungsintensiv und insoweit eine zuverlässige Energiequelle. Neue Projekte haben es dagegen in Corona-Zeiten schwerer:
Vertragsstörungen und Kostensteigerungen durch Lieferungs- und Ausführungsprobleme
Unabhängig davon, ob Bau- und Planungsverträge gem. VOB/B oder wie meist im Bereich Wind und PV als BGB-Werkverträge vereinbart worden sind, enthalten sie regelmäßig kein ausreichendes Instrumentarium für corona-bedingte Ausfälle (vgl. hierzu bereits -> [GGSC] Sondernewsletter Bau „Corona und Bauprojekte“ vom 16.03.2020).
Sind die Probleme bei der Fertigstellung (bspw. Lieferketten, Stilllegung von Baustellen, Planungsverzögerungen etc.) tatsächlich corona-bedingt, laufen die dadurch entstehenden Vertragsstörungen regelmäßig auf einen Fall „höherer Gewalt“ bzw. ein beiderseitiges Nichtvertretenmüssen hinaus.
In diesen Situationen kann ein langwieriger Streit vor Gericht in den meisten Fällen keine sinnvollen Lösungen herbeiführen, noch dazu, wenn bei einem oder beiden Projektbeteiligten Insolvenzrisiken im Raum stehen. Es wird daher regelmäßig darauf ankommen auszuloten, welche Gründe und Möglichkeiten beiderseits bestehen, den Vertrag in geänderter Form erträglich zu Ende zu führen.
Staatliche Hilfsangebote
Im Hinblick auf die Schwierigkeiten, die regelmäßig zu Kostensteigerungen oder Liquiditätsproblemen führen, gibt es eine breite Palette staatlicher Hilfsangebote. Neben vergünstigten Darlehen sind dabei insbesondere steuerliche Erleichterungen zu nennen:
• Steuerliche Maßnahmen zur Berücksichtigung der Auswirkungen des Coronavirus
• Gleichlautende Erlasse der Länder
• Zur Energiesteuer (und anderen Steuerarten)
• Antrag auf Stundung in Brandenburg
Eine Gesamtübersicht der infolge der Covid-19-Pandemie erlassenen deutschen Gesetze und Verordnungen finden Sie hier: -> Download der Liste.
Realisierungsfristen und B-Plan-Verfahren
Bei zeitlichen Verzögerungen von erneuerbaren Energieprojekten wird meist die Einhaltung der für die Realisierung relevanten Fristen problematisch.
Selbst wenn Lieferengpässe nicht zu beklagen sind und Baustellen durchgeführt werden können, stocken vielfach Planungs- und Genehmigungsprozesse bzw. die Netzbetreiber stellen die Netzanschlüsse nicht in der üblichen Bearbeitungszeit bereit.
Besonders die derzeit ohnehin gebeutelten Windenergieprojekte haben Schwierigkeiten, ihre Realisierungsfristen zu halten. Soweit B-Plan-Verfahren erforderlich sind, kommt erschwerend hinzu, dass die Akzeptanz in den Standortgemeinden zunehmend schwerer zu erringen ist. Daher sind die Beteiligten vor Ort in Coronazeiten erschwert zu motivieren, Extra-Anstrengungen zu erbringen.
In Brandenburg ist aus diesem Grund am 15.04.2020 das Gesetz zur Sicherstellung der Handlungsfähigkeit der Brandenburgischen Kommunen in außergewöhnlicher Notlage (-> Brandenburgisches kommunales Notlagegesetz – BbgKomNotG) verabschiedet worden.
Danach sind Abweichungen
• von der Übertragung von Entscheidungskompetenzen des Hauptausschusses,
• von der Pflicht zu Präsenzsitzungen,
• vom Verbot im schriftlichen Umlaufverfahren Beschlüsse zu fassen sowie
• von der Pflicht zur unmittelbaren Sitzungsöffentlichkeit geregelt.
Diese Gesetzesinitiative ist grundsätzlich hilfreich und erleichtert die Argumentation für Projektierer, wenn es gilt, Gemeinderatsbeschlüsse herbeizuführen.
Infektionsschutzkompatible Genehmigungsverfahren
Noch schwieriger ist die Situation bei förmlichen Genehmigungsverfahren, für die Erörterungstermine durchgeführt werden sollen. Eine reguläre Durchführung ist mit den gegenwärtigen Beschränkungen des öffentlichen Lebens nicht vereinbar (vgl. dazu im Einzelnen die Landesverordnungen nach dem IfsG). Es ist nicht einmal sicher abschätzbar, wann diese ggf. nachgeholt werden können. Runderlasse wie bspw. in Niedersachsen, wonach die Durchführung von Öffentlichkeitsbeteiligung nach Möglichkeit ausgesetzt werden sollen, bis in der Gemeindeverwaltung wieder uneingeschränkter allgemeiner Publikumsverkehrs möglich ist, sind insoweit nicht gerade hilfreich (MU Nds, Schreiben vom 26.03.2020).
Nach geltendem Recht ist der Verzicht auf einen Erörterungstermin möglich. Hierfür ist eine pflichtgemäße Ermessensentscheidung zu treffen (§ 10 Abs. 6 BImSchG). Bei der Abwägung, ob auf einen Erörterungstermin verzichtet werden kann, sollte die Behörde in Corona-Zeiten berücksichtigen, dass das Genehmigungsverfahren ansonsten nicht in angemessener Dauer zu Ende geführt werden kann (vgl. § 10 Abs. 6a BImSchG). Dies ist der Grund, weshalb der Bundesverband Windenergie anregt, dass die zuständigen Aufsichtsbehörden im Erlasswege Verwaltungsvorschriften herausgeben, die „strukturierte Vorgaben zur Durchführung des Erörterungstermins“ enthalten (BWE, Schreiben vom 06.04.2020).
Diese „Anregung“ kann im Ergebnis jedoch dazu führen, dass auf Erörterungstermine nicht verzichtet wird, obwohl diese wegen der Ausgangsbeschränkungen aktuell gerade ohne Ersatztermin abgesagt werden.
Die Forderungen der Branche und von Projektierern im Einzelfall müssen daher darauf hinauslaufen, auf einen Erörterungstermin zu verzichten, weil Gründe i. S. d. § 16 9. BImSchV ohnehin vorliegen oder das Verfahren im Rahmen der Abwägung unter besonderer Berücksichtigung der gebotenen Dauer auch eines förmlichen Genehmigungsverfahrens (vgl. § 10 Abs. 6a BImSchG) einen Verzicht gebieten.
Sollte die Behörde im Einzelfall trotz der corona-bedingten Beschränkungen zu dem Ergebnis kommen, dass eine Erörterung erhobener Einwendungen erforderlich ist, könnte dann noch geprüft werden, inwieweit eine Beteiligung der Öffentlichkeit (vgl. zu den diesbezüglichen Ausschlussgründen § 18 9. BImSchV) notwendig ist.
Neben der Durchführung von Erörterungen (Antragskonferenz und Erörterungstermin) kann insbesondere die Zuarbeit beteiligter Behörden sowie die Auslegung stocken bzw. Probleme bereiten.
Da die rechtlich vorgesehenen Möglichkeiten zum Verzicht bzw. zu Ersatzmaßnahmen jeweils nicht für die derzeitige Problemlage vorgesehen sind, ist es schwierig, die verfahrensführenden Behörden zu überzeugen, solche Wege zu beschreiten, wenn keine entsprechenden Vorgaben durch Oberbehörden bestehen.
Denkbar wäre auch, Erörterungstermine per Videokonferenz durchzuführen (a maiore ad minus). Zivilprozessuale Verhandlungen sind bspw. gem. § 128a Abs. 2 ZPO per Videokonferenz möglich. Die technischen Lösungen dafür sind vorhanden und werden gegenwärtig 1000-fach für Webinare, Workshops u. ä. erprobt. Allerdings würden die Behörden insoweit technisch, organisatorisch und was die rechtliche Sicherheit anbelangt (Datenschutz u. a.) Neuland betreten, sodass eine vielfache Durchführung ohne entsprechende regelungstechnische Vorgaben nicht zu erwarten ist.
Die Forderung des BWE, an dieser Stelle durch Durchführungserlasse zumindest Übergangsweise Rückendeckung zu schaffen, greift dieses Problem auf. Zielführend und zugleich einfacher wäre eine gesetzgeberische Klarstellung, dass die derzeitige Möglichkeit, Erörterungstermine mit dem Infektionsschutzgesetz vereinbar auszugestalten, als atypischer Fall i. S. d. BImSchG anzusehen ist, der im Zweifel einen ermessensfehlerfreien Verzicht auf einen Erörterungstermin ermöglicht.
Die Bundesregierung hat aktuell den Entwurf eines Gesetzes zur Sicherstellung ordnungsgemäßer Planungs- und Genehmigungsverfahren während der COVID-19-Pandemie (Planungssicherstellungsgesetz) in die Verfahrensabstimmung gegeben. Dieses erleichtert die Durchführung von Verfahren in der vorstehend beschriebenen Weise. Insbesondere sind
• die Auswirkungen der Covid-19 Pandemie bei Ermessensentscheidungen über Erörterungstermine zu berücksichtigen und
• unter bestimmten Rahmenbedingungen können Online-konsultationen durchgeführt werden.
Eine Regelvermutung dahingehend, dass während der Einschränkungen der Covid-19-Pandemie auf Erörterungstermine verzichtet werden soll, wenn ansonsten die gesetzlich vorgesehene Verfahrensdauer (vgl. § 10 Abs. 6a BImSchG) überschritten wird, enthält der Entwurf (bisher) dagegen nicht.
Maßnahmen Bundesnetzagentur
Die Bundesnetzagentur hat für die von ihr durchzuführenden Ausschreibungsverfahren auf die Situation reagiert, indem sie einige Maßnahmen angekündigt hat, für die sie keine Gesetzesänderung für erforderlich ansah (-> Ausschreibungn für EE- und KWK-Anlagen). Schriftliche Zusicherung der Zuschlagserteilung ohne Internetbekanntgabe: Damit beginnen die Fristen für Pönalen, Realisierung und Zahlung der Zweitsicherheit später zu laufen (Ausnahmen: Biomassebestandsanlagen oder Bieter, die vorab Veröffentlichung beantragen),
• Veröffentlichung von Zahlen zu eingegangener Gebotsmenge, höchstem und niedrigstem Gebotswert; bei PV-Beteiligung zusätzlich entfallene Gebotsmenge auf Acker- und Grünlandflächen; Aktualisierung Netzausbaugebietszahlen für Windenergie an Land,
• Verlängerung Realisierungsfristen für Gebote für Wind an Land und Biomasse auf formlosen Antrag (Gründe per E-Mail ausreichend),
• Beantragung Zahlungsberechtigung für PV vorrübergehend vor Inbetriebnahme möglich, wenn Erfassung im Marktstammdatenregister und corona-bedingte Gründe angeführt: Zuschlag verfällt nicht
• Keine Erhebung von Pönalen nach Ablauf ursprünglicher Realisierungsfrist für Windenergie an Land und Biomasse; keine entsprechende Mitteilung an Übertragungsnetzbetreiber.
Die Bundesnetzagentur hat für Anträge auf Fristverlängerung ergänzend eine Handlungsempfehlung veröffentlicht.
Zwar sind diese Maßnahmen grundsätzlich zu begrüßen, jedoch erscheint eine gesetzliche Absicherung – sei es auch nur zu Klarstellungszwecken – geboten, zumal selbst mit diesen „Erleichterungen“ eine wirtschaftliche Umsetzung der ohnehin äußerst niedrigen Projektzahlen (vgl. aktuelle Ausschreibungsergebnisse) keineswegs sicher ist.
Weitere Verbesserungen notwendig
Darüber hinaus sollten weitere Nachbesserungen erfolgen. Im EEG sollten energieträgerspezifisch verlängerte Fristen geregelt werden, die ggf. von der Bundesnetzagentur weiter verlängert werden können, wenn die corona-bedingten Einschränkungen andauern. Daneben sind Folgeprobleme in den Blick zu nehme, die sich aufgrund der Stichtagsregelung des § 118 Abs. 25 EnWG etwa im Hinblick auf die VDE-Anwendungsregeln ergeben.
Ferner sollten nicht nur die Realisierungsfristen geregelt werden, sondern auch die unabhängig von Corona grundsätzlich anstehenden Themen, wie die Aufhebung des 52 GW Deckels, die Lösung der Abstandsregelungen für Onshore-Windenergie, die Aufhebung der Netzausbaugebietsverordnung sowie Ausbau und Optimierung der Netze (siehe dazu gesondert in diesem Newsletter) weiter angegangen werden.
Fazit und Einschätzung
Insbesondere für die Ausschreibungsverfahren hat die Bundesnetzagentur auf Drängen der Verbände gewissermaßen als „Soforthilfe“ erste kreative Lösungen auf den Weg gebracht, die corona-bedingte Verzögerungen puffern. Diese erscheinen auch belastbar, zumal nicht erkennbar ist, weshalb die Netzbetreiber dagegen vorgehen sollten. Gleichwohl ist zu hoffen, dass diesbezüglich zur Absicherung auch gesetzliche Klarstellungen und idealerweise weitere Verbesserungen erfolgen.
Den planungs- und genehmigungsspezifischen Verzögerungen durch die Corona-Krise könnte mit dem bestehenden gesetzlichen Instrumentarium theoretisch begegnet werden. Allerdings erscheint die Bereitschaft dazu bei den hierfür verantwortlichen Akteuren ohne entsprechende Rückendeckung der Oberbehörden bzw. noch besser des Gesetzgebers nicht besonders ausgeprägt. Hinzu kommen auch aufgrund des hierbei im Vergleich zu Ausschreibungen größeren Klägerpotentials höhere rechtliche Risiken.
Wenn das im Entwurf befindliche Planungssicherstellungsgesetz kurzfristig in Kraft tritt, wird es die rechtliche Argumentationslage noch verbessern. Langfristig ist zu erwarten, dass der Gesetzgeber auf die Corona-Krise reagiert und die Möglichkeiten Verfahrensschritte digital zu strukturieren, weiter stärkt.