Sonder-Newsletter Bau September 2024

„Schneller-Bauen-Gesetz“ – Wo es wirkt, wo der Entwurf widersprüchlich ist und wo er noch nachgebessert werden muss

Mit Beschluss vom 26. August 2024 hat der Senat von Berlin dem Abgeordnetenhaus einen Gesetzentwurf zugeleitet, der mit dem Schlagwort „Schneller-Bauen-Gesetz“ vorgestellt wird.[1] Zwar kann sich bis zur Verabschiedung, die noch in diesem Jahr erfolgen soll, noch einiges ändern. Aber wer demnächst ein Bauvorhaben ins Verfahren bringen will, sollte prüfen, ob ein Antrag dazu besser noch vor Inkrafttreten des Gesetzes gestellt werden sollte oder ob sich ein Abwarten lohnt. Gern beraten wir dazu im Detail.

Schnelle Entscheidungen

Wichtigstes Ziel des Gesetzes ist, zu erreichen, dass die jeweils zuständige Behörde schneller entscheidet. Das gilt für die Bauaufsicht als im Bauantragsverfahren federführende Stelle, aber auch für alle anderen „berührten Fachbereiche“. Insoweit werden neue Fristen eingeführt und bisherige verkürzt. Allerdings kann sich jede Stelle von jeder Frist befreien, wenn sie die Unvollständigkeit der übersandten Unterlagen rügt (§ 3 Abs. 4 (E) AZG, § 69 Abs. 1 (E), Abs. 2 BauO Bln, § 12 Abs. 1a (E) DSchG, § 11 Abs. 3a (E) StraßenG). Die Bauenden werden sich also auf viele „Wir-brauchen-mehr-Details-Rügen“ einstellen müssen.

Schon vor Antragstellung kann der Bauende bei wichtigen Bauvorhaben (u. a.: ab 50 Wohneinheiten) eine (kostenpflichtige) „Antragskonferenz“ verlangen, an der Entscheidungsbefugte aller „berührten Fachbereiche“ teilnehmen müssen und die festlegt (und protokolliert), welche „Vorarbeiten bis zur Antragstellung erfolgen müssen“ (§ 58 Abs. 1a (E) BauO Bln). Die „Wir-brauchen-mehr-Details-Forderungen“ werden dann gleich als Anlage zum Protokoll geliefert.

Umfassende Entscheidungen

Es gibt Bundesländer in Deutschland, da umfasst die Baugenehmigung alle für den Bauenden erforderlichen öffentlich-rechtlichen Entscheidungen (z. B. § 72 Abs. 1 BbgBO). In Berlin mussten dagegen bisher die meisten zusätzlichen Genehmigungen gesondert beantragt werden. Das soll sich nun (teilweise) ändern. Geprüft und rechtssicher beschieden werden sollen künftig auch Fragen der Entwässerung, der dauerhaften Gehwegüberfahrten, der „Anforderungen des Artenschutzes“ (§§ 63, 64 (E) BauO Bln) und des Baumschutzes (§ 5 Abs. 4 (E) BaumSchVO). Das wird neue „Wir-brauchen-mehr-Details-Listen“ der zuständigen Fachbehörden nach sich ziehen, denn diese müssen jeweils beteiligt werden oder sogar ihr Einvernehmen erklären. Unklar bleibt auch unter Berücksichtigung der Gesetzesbegründung, was hinsichtlich der „Zulässigkeit von dauerhaften Gehwegüberfahrten“ und der „Anforderungen des Artenschutzes“ genau geprüft wird. Dauerhafte Gehwegüberfahrten werden in Berlin im Rahmen des Anliegergebrauchs (§ 12 Abs. 3 BerlStrG) vom Bezirk selbst hergestellt (§ 9 Abs. 1 BerlStrG), die Frage einer formellen „Zulässigkeit“ stellt sich also nicht. Gemeint ist also wohl, dass die Bauaufsicht von Amts wegen zu klären hat, ob der Straßenbaulastträger die Herstellung an der in den Bauvorlagen gekennzeichneten Stelle zusagt oder
jedenfalls zulässt.

Hinsichtlich des Artenschutzes ist anzumerken, dass weder die deutschen Bauordnungen noch das Naturschutzrecht bisher den Begriff „Anforderungen des Artenschutzes“ verwenden. Das Artenschutzrecht besteht aus zahlreichen (und sehr umfassenden) Verboten, von denen ggf. Ausnahmen oder Befreiungen zuzulassen sind oder zugelassen werden können. Welche „Anforderungen“ also genau von der Bauaufsicht zu prüfen sind und welche der verschiedenen Berliner Naturschutzbehörden in welcher Reihenfolge zu beteiligen sind, muss also erst noch geklärt werden.

Fiktive Genehmigungen

Es gibt schon gegenwärtig viele das Bauverfahren betreffende Fristen für behördliche Stellungnahmen oder Entscheidungen, deren Nichteinhaltung für niemanden Folgen hat außer für den Bauenden, bei dem dies zu schmerzhaften Verzögerungen führt. Als Heilmittel hiergegen könnte der Gesetzgeber den fiktiven Eintritt einer positiven Entscheidung nach Fristablauf regeln, was er in einigen Fällen auch schon getan hat.[2] Auch in § 69 BauO Bln waren bisher Fälle des fiktiven Einvernehmens (Abs. 2 Satz 3) und der fiktiven Genehmigung (Abs. 4) geregelt. Diese Fiktionen werden zukünftig durch „Wir-brauchen-mehr-Details-Forderungen“ eingeschränkt (Abs. 2 Satz 4 neu) bzw. für den Artenschutz und die Entwässerung ganz abgeschafft (Abs. 4 Satz 3 neu). Zusätzliche Genehmigungsfiktionen, deren Einführung auch in der Verwaltungsreformdiskussion immer wieder gefordert wird, finden sich im
Gesetzentwurf nicht.

Entscheidungen durch die Hauptverwaltung

Nach Art. 67 der Berliner Verfassung ist die Durchführung von Verwaltungsaufgaben Sache der Bezirke, wenn nicht „im dringenden Gesamtinteresse Berlins“ die Hauptverwaltung tätig werden darf oder muss. Das allgegenwärtige Verwaltungsversagen Berlins ist vor diesem Hintergrund nicht zuletzt auf den Umstand zurückzuführen, dass in allen Bezirksverwaltungen zusammen nur ein Viertel der Vollzeitstellen vorhanden sind, über die Hauptverwaltungen verfügen.[3] Bei dieser Sachlage liegt es nahe, Aufgaben, die dringend erledigt werden müssen, auf die Hauptverwaltung zu verlagern. Hiervon macht der Gesetzentwurf vielfältig Gebrauch. So wird das Eingriffsrecht der SenSBW bei einigen bedeutsamen „städtebaulichen Vorhaben“ erweitert (§ 13a Abs. 1 Satz 2 Nr. 5. bis 7. (E) AZG – u. a. „ab 50 Wohneinheiten“). § 7 Abs. 2 Satz 2 Nr. 5 AGBauGB, der im Planungsrecht Vorhaben ab 200 WE für bedeutsam erklärt, soll allerdings unverändert bleiben. Erklären kann man das nicht.

Die Widerspruchszuständigkeit im Denkmalschutz für bedeutsame Vorhaben geht zukünftig an die Hauptverwaltung (§ 12 Abs. 4 (E) DSchG).

Nach „oben“ verlagert werden verschiedene Entscheidungen im Grundstücksrecht (Nr. 6 der Anlage zum AZG neu) und über die Ausübung eines Vorkaufsrechts (§ 16 Abs. 2 (E) AGBauGB). Ist SenSBW für die Entscheidung über ein bedeutsames Vorhaben zuständig oder zieht sie es an sich, so sind in Zukunft die Bezirksverwaltungen auch im Übrigen nicht mehr beteiligt, sondern nur noch die „fachlich betroffenen Senatsverwaltungen“ (§ 69 Abs. 2 Satz 4 und § 88 Abs. 2 (E) BauO Bln; § 5 Abs. 2 Nr. 13 und 14 (E) DSchG). Ob diese Verlagerungen wirklich zu Beschleunigungen führen, muss man bei den gegenwärtig von den Fachverwaltungen des Senats schon oft benötigten Entscheidungszeiträumen allerdings bezweifeln.

Erleichterungen für den Wohnungsbau

Da sich Berlin zu einem Gebiet mit einem „angespannten Wohnungsmarkt“ (§ 201a BauGB) erklärt hat, ist es verpflichtet, alle Möglichkeiten zur Beseitigung dieser Wohnungsmangellage auszuschöpfen. Von einer durchgehenden Erleichterung der Anforderungen an Wohnungsbauvorhaben und einer durchgehenden Beschleunigung entsprechender Genehmigungsverfahren ist in dem Entwurf jedoch keine Rede. Einige materielle Anforderungen werden jedoch sinnvoll vermindert (§ 47 Abs. 1 (E) BauO Bln: nur noch 2,40 m Mindesthöhe von Aufenthaltsräumen; § 48 Abs. 5 (E) BauO Bln: Nicht-Anwendung der §§ 6, 27, 28 und 30 bis 32 bei Schaffung von Wohnraum im Bestand). Wesentliche Erleichterungen gibt es auch im Waldrecht: Anwendbarkeit erst ab 0,2 ha Baumbestand; Wegfall der UVP bei Umwandlungen unter 10 ha; besondere Berücksichtigung der Wohnraumproblematik im Waldumwandlungsverfahren; Zahlung einer Walderhaltungsabgabe ist ausreichende Kompensation.

Dagegen wird die (immer zeitaufwendige) zusätzliche Prüfung bisher ungeprüfter Anforderungen im Baugenehmigungsverfahren vorgeschrieben (§ 44 Abs. 1 Satz 3 i. V. m. §§ 63, 64 (E) BauO Bln: Niederschlagswasserversickerung; § 63 Nr. 3 (E) BauO Bln: Die Übereinstimmung mit den Anforderungen der §§ 4 bis 6, 8 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 und § 45; § 63 Nr. 5 (E) BauO Bln: Die barrierefreie Zugänglichkeit von baulichen Anlagen). Unmöglich gemacht wird zusätzlich die Schaffung von rechtmäßigem Wohnraum ohne Zustimmung des Grundstückseigentümers durch den Inhaber der Fläche. Dies gilt auch dann, wenn der Bauwillige einen vertraglichen Anspruch darauf hat zu bauen, aber der Eigentümer dem Baugenehmigungsantrag gleichwohl nicht zustimmt. Dann muss der Bauwillige erst vor dem Zivilgericht die Zustimmung des Eigentümers zu den Bauvorlagen erstreiten, um dann öffentlich-rechtlich zu klären, was er konkret bauen darf und was nicht. Was diese Regelung in einem „Schneller-Bauen-Gesetz“ zu suchen hat, ist schlicht unverständlich.

Die Fachbehörden sollen zukünftig Antragsverfahren, die mit dem Wohnungsbau zusammenhängen, „vorrangig“ bearbeiten (§ 38a (E) NatSchG; § 12 Abs. 2 Satz 6 (E) StraßenG).
Warum sie das bisher trotz der durch Rechtsverordnung festgestellten Wohnungsmangellage nicht taten, versteht man allerdings nicht. Und was zukünftig passiert, wenn sie es weiterhin nicht tun, wissen wir auch nicht.

Was fehlt

Es gibt kaum eine heutige Diskussion über Demokratieverdrossenheit, in der nicht die Forderung nach „Entbürokratisierung“ als Heilmittel erhoben wird. Damit sind zwei Problemkreise angesprochen: Die Forderung nach weniger materieller staatlicher Regulierung und die Forderung, die Einhaltung rechtlicher Anforderungen nicht in jedem Fall und schon gar nicht in langwierigen aufwendigen Verfahren zu überprüfen. Beides findet sich im Gesetzentwurf kaum wieder. Das ist im materiellen Bereich verständlich, denn hier ist der Bund im Planungs-, Naturschutz-, Immissionsschutz- und Bauzivilrecht zuständig. Im formellen Bereich hätte man jedoch auf jede Erhöhung der Prüfungsdichte verzichten und diese an verschiedenen Stellen sogar zurückfahren können.

Ein Berlin-spezifisches Sonderproblem sind insoweit die Prüfungen und Klagerechte der anerkannten Naturschutzvereinigungen. Während im „politischen“ Teil des Gesetzgebungsvorhabens die vollständige Rückführung aller Verfahrensstandards auf das EU- und bundesrechtliche Mindestmaß versprochen wird, löst der rechtliche Teil dies nicht ein und lässt vor allem das über das Bundesrecht hinausgehende Mitwirkungsrecht des § 45 Abs. 1 Nr. 3 NatSchG Bln unangetastet. Da gleichzeitig die Erweiterung der bauaufsichtlichen Prüfung in allen Verfahren auf die „Anforderungen des Artenschutzes“ vorgenommen wird, führt dieses Unterlassen zu einem umfassenden Klagerecht jeder in Berlin anerkannten Naturschutzvereinigung gegen jede in Berlin erteilte Baugenehmigung. Es reicht aus, wenn die Möglichkeit dargelegt werden kann, dass durch den Bagger ein Käfer, eine Amphibie oder ein sonstiges streng geschütztes Tier ungerechtfertigt zu Tode kommt oder ein Vogelbrut- oder Nahrungsbiotop beschädigt wird.

Ergebnis

Wenn die Mehrheit im Abgeordnetenhaus mehr als nur symbolische Gesetzgebung betreiben will, sollte sie den Entwurf zügig aber gründlich behandeln, einige Regelungen verbessern und ergänzen, andere weglassen. Alles, was die Behördenzuständigkeiten betrifft, sollte man nicht in diesem Gesetz, sondern in dem ebenfalls vom Senat zur kurzfristigen Einbringung ins Abgeordnetenhaus versprochenen Landesorganisationsgesetz umfassend und für die gesamte Berliner Verwaltung effektiv regeln.


[1] Gesetz zur Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren für Bauvorhaben (Schneller-Bauen-Gesetz – SBG), Drucks. 19/1858 des Abgeordnetenhauses von Berlin vom 26.08.2024. Die Regelungen des Entwurfs werden im Folgenden Text als (E.) zitiert, zusammen mit dem jeweiligen Gesetz, in das sie eingefügt werden, oder als „neu“.

[2] Vgl. insbesondere § 22 Abs. 6 BauGB, auf den auch verschiedene andere Regelungen des BauGB zur Entstehung fiktiver Genehmigungen verweisen.

[3] Von 123.000 Beschäftigten (Vollzeitäquivalente) des öffentlichen Dienstes sind im Jahre 2024 99.000 der Hauptverwaltungsebene und 24.000 den zwölf Bezirksverwaltungen zugewiesen. Gegenüber 2008 (100 %) gab es in der Hauptverwaltung einen Aufwuchs auf 115 %, bei den Bezirken eine Verringerung auf 97 %.