Preisabfragen und Vertragsvollzug infolge des Ukraine-Kriegs
Erste Auswirkungen des Ukraine-Kriegs haben auch die Vergabepraxis in Deutschland erreicht. Insbesondere Transportunternehmen, aber auch Entsorger, Maschinenlieferanten oder Bauunternehmen müssen erhebliche Preissteigerungen etwa für Kraftstoffe, Baumaterialen und Energie hinnehmen. Lieferketten brechen ab. Täglich flattern den öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgern Preisanpassungsbegehren ins Haus. Vergabekonzeptionen müssen angepasst werden, weil alle Marktteilnehmer:innen von dem Umfang der Verwerfungen überrascht wurden.
Preisanpassung in bestehenden Verträgen kein Automatismus
In bereits laufenden Verträgen werden jetzt von den Auftragnehmerinnen und Auftragnehmern Forderungen nach Preisanpassungen scheinbar ohne jede Einzelfallprüfung versandt.
Entsprechende Ansprüche sind aber überwiegend nur dann begründet, wenn ein Wegfall bzw. eine Störung der Geschäftsgrundlage nach § 313 BGB vorliegt. Dies ist auch mit Blick auf die Kriegsfolgen keineswegs automatisch anzunehmen. Es bedarf einer dezidierten Auseinandersetzung mit den Regelungen des jeweiligen Vertrages über Dienst-, Liefer- oder Bauleistungen. Dies gilt unabhängig davon, ob in diesen Verträgen Fixpreise oder eine turnusgemäße Preisanpassung vorgesehen ist.
Nach § 313 Abs. 1 BGB kann eine Vertragsanpassung – außerhalb der turnusgemäßen Preisanpassungen – zunächst nur verlangt werden, wenn sich Umstände, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind, nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert haben und die Parteien den Vertrag nicht oder mit anderem Inhalt geschlossen hätten, wenn sie diese Veränderung vorausgesehen hätten. Selbst wenn man diese strengen Anforderungen in der jeweiligen Vertragskonstellation noch als erfüllt ansehen würde, kann eine Anpassung aber nur verlangt werden, soweit einem Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann.
Haushalts- und gebührenrechtliche Pflichten beachten
Die öffentlichen Auftraggeber sind gut beraten, jedes einzelne Anpassungsbegehren genau zu prüfen, andernfalls droht spätestens im Gebührenprozess das böse Erwachen. Eine Anerkennung von unberechtigten Forderungen durch die kommunalen Entscheidungsträger ist auch individuell mit erheblichen rechtlichen Risiken verbunden. Es besteht zwar etwa bei der Beantwortung der Frage, was im Hinblick auf die vertragliche Risikoverteilung als „unzumutbare Härte“ anerkannt wird, ein erheblicher Beurteilungsspielraum. Gerade die aktuell im Entsorgungsbereich vorgelegten Forderungen nach pauschalen Preisaufschlägen von unterjährig bis zu 12 Prozent auf den Gesamtpreis der Leistungen des Sammelns und Transportierens sind aber regelmäßig deutlich übersetzt. Keinesfalls dürfte es im Rahmen einer Drittbeauftragung gerechtfertigt sein, dem Gebührenzahler etwa die vollständige Differenz zwischen dem kalkulierten und aktuellen Dieselpreis aufzuerlegen. Auch die vom Auftragnehmer kalkulierten Gewinn- und Wagniszuschläge müssen bei der Prüfung, was dem Auftragnehmer zugemutet werden kann, berücksichtigt werden.
Indizierung von Angebotspreisen im Vergabeverfahren
In laufenden Vergabeverfahren vor Ablauf der Angebotsfrist und in derzeit in Vorbereitung befindlichen Verfahren sind die Auftraggeber gut beraten, wenn sie den derzeitigen weltwirtschaftlichen Rahmenbedingungen Rechnung tragen und ihre Vergabekonzeptionen kritisch prüfen. Dies gilt insbesondere, sofern der Beginn der Leistungserbringung sich deutlich vom Zeitpunkt der Angebotsabgabe unterscheidet. Gerade in einem solchen Fall bestehen objektiv im Hinblick auf die aktuellen Marktgegebenheiten erhebliche Probleme, eine verlässliche Kalkulation aufzustellen. Je nach Leistungsgegenstand können hier die Verkürzung der Leistungszeiträume oder die Indizierung der Angebotspreise geeignete Instrumente sein, um zu einem angemessenen Interessenausgleich zu gelangen.
[GGSC] berät öffentliche Auftraggeber umfassend zum Vertragsvollzug und unterstützt sie bei der Durchführung eines rechtskonformen Vergabeverfahrens einschließlich der Berücksichtigung der Kriegsfolgen bei Ausgestaltung der Vergabeunterlagen.