Interessenkonflikt bei Kontaktaufnahme mit Bietern
Ein entscheidender Aspekt bei öffentlichen Vergabeverfahren ist die Gewährleistung von Neutralität und Fairness. Diese wird insbesondere durch die konsequente Beachtung und Vermeidung von Interessenkonflikten im Sinne des § 6 VgV sichergestellt. Gleichzeitig verstecken sich bei der Auslegung der Norm immer wieder Risiken, die auch Folgen für das Vergabeverfahren haben. Dies betrifft vor allem die Frage, wann eine Handlung als „Unterstützungshandlung“ i. S. d. § 6 Abs. 3 Nr. 2 VgV gilt.
Ein kürzlich ergangener Beschluss der Vergabekammer Westfalen (VK Westfalen) verdeutlicht die Tragweite dieser Norm.
Maßgeblich: Eindruck fehlender Neutralität?
In dem vor der Vergabekammer verhandelten Fall schrieb ein Auftraggeber eine Rahmenvereinbarung über Sicherheitsdienstleistungen aus (Beschluss v. 21.02.2024, VK 3-42/23). Im Mittelpunkt der Entscheidung stand die Frage, welche Anforderungen an Mengenangaben als Kalkulationsgrundlagen für die Bieter zu stellen sind. Die Tatsache, dass es hier einer konkreten Schätzung und der Angabe von Höchstmengen bedarf, kann seit der Entscheidung des EUGH in der Rechtssache Simonsen & Weel im Jahr 2021 (Rs. C-23/20) als geklärt angesehen werden.
Daneben war aber auch die Kommunikation zwischen Vertretern der Auftraggeberin und Mitarbeitenden mehrerer Bieter angegriffen worden. Bereits vor Abschluss der Angebotswertung hatte sich eine Mitarbeiterin der Auftraggeberin bemüht, den Rahmen für einen möglichst reibungslosen potentiellen Auftragnehmerwechsel vorzubereiten. Sie trat nach den Feststellungen der Vergabekammer an die Mitarbeitenden der aktuellen Auftragnehmerin mit dem Hinweis heran, man solle ihr doch schon einmal „Blankobewerbungen“ ohne Adressangaben übergeben, falls man im Falle eines Wechsels des Auftragnehmers Interesse an einer Fortsetzung der Tätigkeit am bisherigen Standort habe. Käme es zu einem Auftragnehmerwechsel, würden die Bewerbungen entsprechend weitergeleitet. Offenbar gingen bei der Auftraggeberin auch eine Reihe von Bewerbungen ein.
Die Antragstellerin und bisherige Auftragnehmerin wurde im weiteren Fortgang des Verfahrens über die vorgesehene Nichtberücksichtigung ihres Angebots informiert. Der Zuschlag an die Mitbewerberin sollte am 05.12.2023 erteilt werden und die Leistungsaufnahme bereits am 16.12.2023 erfolgen.
Mit einer E-Mail vom 27.11.2023 wandte sich die Mitarbeiterin der Auftraggeberin nochmals an die Mitarbeitenden der Antragstellerin und kündigte an, die „Blankobewerbungen“ an den Bestbieter weiterzuleiten und ggf. auch zu ergänzen, sofern die Blankobewerbungen unvollständige Angaben enthielten. Gleichzeitig sollten potenzielle Bewerbungsgespräche in den Räumen der Auftraggeberin bereits am 04.12.2023 stattfinden.
Die VK Westfalen – auch wenn dies nicht entscheidungserheblich war – wies darauf hin, dass die Handlungen einen Interessenkonflikt der Mitarbeiterin vermuten lässt, da es sich insoweit um eine „sonstige Unterstützungshandlung“ i. S. d. § 6 Abs. 3 Nr. 2 VgV handele. Die Mitarbeiterin habe Aufgaben übernommen, die üblicherweise dem Auftragnehmer zufallen würden und dem Bestbieter die Personalakquise erleichtert, was den Eindruck fehlender Neutralität verstärke.
Die Begründung der Auftraggeberin, es handele sich um eine gängige Praxis und es habe eine besondere Eilbedürftigkeit vorgelegen, ließ die Vergabekammer nicht gelten. Die Gründe rechtfertigten keine derartige Nähe zum Bestbieter.
Augen auf in der Praxis
Sobald der Eindruck einer fehlenden Neutralität entstehen kann, ist im Vergabeverfahren Vorsicht geboten. Zu problematischen Unterstützungshandlungen ist im Zweifel alles zu zählen, was dem Bieter, der voraussichtlich den Zuschlag erhält, die Leistungsdurchführung erleichtert. Eine Kontaktaufnahme vor Zuschlagserteilung sollte nur im Ausnahmefall erfolgen und in jedem Fall nebst Begründung dokumentiert werden. Auch sollte im Laufe des Verfahrens regelmäßig überprüft werden, ob ein eventueller Interessenkonflikt im Sinne des § 6 VgV gegeben sein könnte.
Co-Autorin: Emily Jürgens