Neuerungen in den Vergabegesetzen in Thüringen und in Hamburg
Im Oktober und November des vergangenen Jahres wurde zunächst in Hamburg und dann in Thüringen das jeweilige Landesvergaberecht geändert. Während im Freistaat vor allem umweltbezogene Regelbeispiele an die Stelle von sozialen Aspekte rückten und der Bürokratieabbau gefördert werden sollte, zielt die Hansestadt gerade auf eine Stärkung sozialer Belange im Vergaberecht. Zudem wurde eine „Notstandsklausel“ für Krisensituationen eingeführt.
Umweltaspekte vor nachhaltigen sozialen Kriterien in Thüringen?
Mit dem „Gesetz zur Änderung des Thüringer Vergabegesetzes – Bürokratieabbau und Verfahrensvereinfachung im Thüringer Vergaberecht“ vom 16.11.2023 wurden das Thüringer Vergaberecht reformiert. Folgende Änderungen sind dabei von besonderem Interesse: So hat v.a. § 4 des Gesetzes einen neuen Anstrich erhalten. Während in der bis Ende 2023 geltenden Fassung als soziale Aspekte nach Abs. 3 unter anderem die „Einbeziehung von Auszubildenden, Langzeitarbeitslosen oder schwerbehinderten Menschen“, „die Berücksichtigung der Belange von Menschen mit Behinderungen“ sowie „Maßnahmen zur Förderung der Chancengleichheit von Frauen und Männern im Beruf und zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf“ berücksichtigt werden konnten, kommen diese in der seit Jahresbeginn geltenden Fassung (nunmehr in § 4 Abs. 4) nicht mehr vor. Die Aufzählung soll jedoch nach wie vor nicht abschließend sein (vgl. Rundschreiben 1050-R3.2-3295/1-101-65998/2023 vom 21.12.2023).
Neuerungen beim vergabespezifischen Mindestlohn
Eine weitere Änderung mit sozialem Bezug gibt es bei der vergabespezifischen Mindestlohnregelung: Während § 10 Abs. 4 S. 5 des alten Thüringer Vergabegesetzes noch konkret einen vergabespezifischen Mindestlohn bzw. ein Mindeststundenentgelt von 11,42 Euro (brutto) für den Fall vorsah, dass die ausgeschriebene Leistung keinem als repräsentativ festgestellten Tarifvertrag im Sinne des Satzes 1 unterfällt oder keine Bekanntgabe im Sinne des Satzes 4 vorliegt, knüpft der diesen ersetzende § 6 Abs. 4 S. 5 nun nicht mehr an einen festen Lohnsatz an, sondern gibt vor, dass der Lohn stets um 1,50 € höher sein muss als der aktuell gültige gesetzliche Mindestlohn.
Neuigkeiten bei vorzulegenden Nachweisen in Thüringen
Auch bei den vorzulegenden Nachweisen ändert sich etwas: Nach § 8 Abs. 1 S. 1 ThürVgG sind Bieter nunmehr verpflichtet, mit der Abgabe des Angebotes eine Eigenerklärung zur Einhaltung der Bestimmungen des Vergabegesetzes vorzulegen. Sie ersetzen die bisherigen Formblätter zum Thüringer Vergabegesetz. Entsprechend der beiden „Kategorien“ von Auftraggebern nach dem neuen § 6 ThürVgG (staatliche Auftraggeber, Universitäten und deren Einrichtungen einerseits und kommunale sowie sonstige Auftraggeber andererseits) gibt es zwei Fassungen von Eigenerklärungen.
Neu: Abrufbare Formulare für neue Eigenerklärungen
Die Eigenerklärungen sind abrufbar auf der Homepage des Thüringer Ministeriums für Wirtschaft, Wissenschaft und Digitale Gesellschaft unter https://wirtschaft.thueringen.de/wirtschaft/wirtschaftsverwaltung/oeffentlichesauftragswesen. Unterhalb von den in § 8 Abs. 2 genannten Schwellenwerten kann zudem auch per E-Mail ein Angebot abgegeben und bzgl. des Verfahrens kommuniziert werden.
Stärkung sozial verantwortlicher Vergaben in der Hansestadt Hamburg
Auch in der Hansestadt Hamburg gab es im Jahr 2023 Änderungen im Vergaberecht. Das „Vierte Gesetz zur Änderung des Hamburgischen Vergabegesetzes“ wurde am 05.10.2023 verkündet. Im Gegensatz zu den thüringischen Änderungen heißt es hierzu in der Mitteilung des Senats an die Bürgerschaft zur Gesetzesänderung (Gesetzesbegründung, Drs. 22/12216, S.1) ausdrücklich, dass Schärfungen insbesondere im Bereich der sozialen Nachhaltigkeit erforderlich geworden seien.
Neu: Anerkannte Werkstätten als Bevorzugte Bieter
Durch ausdrückliche Regelungen wurden die Möglichkeiten zur Berücksichtigung sozialer Belange bei der Vergabe von Aufträgen gestärkt: In § 3a (Sozialverträgliche Beschaffung) wurde der neue Absatz 5 eingefügt. Danach können öffentliche Aufträge, die von anerkannten Werkstätten für behinderte Menschen, anerkannten Blindenwerkstätten oder Inklusionsbetrieben (diese sodann definiert als „bevorzugte Bieter“) ausgeführt werden können, diesen bevorzugt angeboten werden, zudem kann Ihnen (nach Maßgabe einer Verwaltungsvorschrift) beim Zuschlag und den Zuschlagskriterien ein Vorteil gewährt werden).
Die „Krisen-Klausel“
Nach dem neuen § 1 Abs. 4 des Hamburgischen Vergabegesetzes wird der Senat ermächtigt, die Anwendung des Gesetzes in einer besonderen Krisensituation, die kurzfristige Beschaffungen zwingend erforderlich macht, durch eine Rechtsverordnung für die betreffenden Vergabeverfahren bis zu einem Jahr auszusetzen. Dadurch soll bei dringlichen Beschaffungen für die Vergabestellen in Krisensituationen die erforderliche Rechtssicherheit geschaffen werden (vgl. Gesetzesbegründung, Drs. 22/12216, S. 6).
Abwarten auf das Bundestariftreuegesetz?
Im Hamburgischen Änderungsgesetz nicht enthalten waren neue Regelungen zur Tariftreue. Aus der Mitteilung des Senats an die Bürgerschaft ergibt sich, dass ursprünglich zwar eine solche Regelung (bzw. eine Neuregelung der §§ 3, 10 HmbVgG) vorgesehen war, u.a. aber zunächst das seit längerer Zeit geplante Bundestariftreuegesetz abgewartet werden sollte.
Schon seit geraumer Zeit blicken Vergaberechtlerinnen und Vergaberechtler wie Beschaffende nach Berlin mit der Frage, wann das lang angekündigte Bundestariftreuegesetz endlich verabschiedet werden wird (s. dazu unsere Hinweise in dieser Ausgabe) – das Gesetzgebungsverfahren in Hamburg zeigt, welche Auswirkungen weitere Verzögerungen hier auch auf Landeseben haben.
Co-Autorin: Rechtsanwältin Clara Nicola