Merkpunkte für die Ausschreibung technischer Großvorhaben und von Anlagen
Die Ausschreibung technischer Großvorhaben wie z.B. im Anlagenbau (Abfallbehandlungsanlagen, Wasseraufbereitung) oder bei touristischen Großprojekten (Seilbahnneubau) will gut vorbereitet und geplant sein.
Nachfolgend geben wir einige Hinweise zu Schritten, die besondere Sorgfalt erfordern. Dass die Vorbereitung und Durchführung solcher Großvorhaben durchaus eine geraume Zeit von mehreren Jahren beansprucht, liegt auf der Hand.
Vorbereitung des Projekts (z.B. Machbarkeitsstudien)
Am Anfang des Projekts steht in der Regel eine Machbarkeitsstudie. Dort werden Bedarf und Dimensionierung sowie Finanzierungs- und Refinanzierungsfragen regelmäßig auf Herz und Nieren geprüft und mit Blick auf die konkreten Einsatzzwecke ausgewertet. In aller Regel muss ein solche Machbarkeitsstudie auch mit den Gremien erörtert und diskutiert werden, um dort schon rechtzeitig die Aufmerksamkeit für die bevorstehenden Planungs- und Errichtungsentscheidungen zu wecken. Sicherlich macht es auch Sinn, sich schon ganz zu Beginn des Projekts über etwaige Fördermöglichkeiten und deren Kautelen zu informieren.
Zumeist zeichnet sich auch schon ganz zu Beginn des Vorhabens ab, dass öffentliche Großprojekte unterschiedliche, vorgeschaltete Vergabeverfahren erfordern. Insoweit ist vor allem zwischen der Errichtung der Anlage selbst und einer ggf. vorab zu beauftragenden Planung zu unterscheiden, für die die entsprechenden Spezialisten gebunden werden müssen. Und auch schon für die Vergabe der Planung muss beim Auftraggeber eine ungefähre Vorstellung davon bestehen, in welchen Bandbreiten die endgültigen Errichtungskosten anzusiedeln sein werden: Abhängig davon ist dann zu entscheiden, ob die Ingenieursvergabe in einem europaweiten Verfahren ausgeschrieben werden muss oder nicht.
Merkpunkt Planervergabe
Dies hängt natürlich auch davon ab, welche Leistungsphasen schon zu Beginn des Projekts an Planer vergeben werden oder ob eine gestufte Vergabe von Planerleistungen vorgesehen ist. Weil sich hier bei der Bemessung des Auftragswertes (bevor eine belastbare Kostenschätzung vorliegt, die ja der Ingenieur erst in Leistungsphase 2 - Vorplanung - erstellen soll) erhebliche Unsicherheiten ergeben können, ist zu überlegen, aus Gründen der Rechtssicherheit ein europaweites Verfahren für die vorgeschaltete Planervergabe zu wählen.
Für die europaweiten Planervergaben steht der Vergabestelle „in der Regel“ gem. § 74 VgV das Verhandlungsverfahren mit vorgeschaltetem Teilnahmewettbewerb gem. § 17 VgV oder auch der wettbewerbliche Dialog gem. § 18 VgV zur Verfügung.
Der Verordnungsgeber geht also davon aus, dass bei diesen Vergaben grundsätzlich immer von einer besonderen Situation ausgegangen werden kann, die ein solches Verfahren erlaubt. Naturgemäß muss dies erst recht für Planervergaben gelten, die sich auf komplexe, technische Großvorhaben beziehen. Der Eignung der auszuwählenden Planer kommt ja immer eine besondere Bedeutung zu, hier aber erst recht. Unterhalb der Schwellenwerte sind verbindliche Rechtsnormen für die Planervergaben vor allem in der UVgO (Unterschwellenvergabeverordnung) zu finden – gültig in denjenigen Bundesländern, die die Verordnung für anwendbar erklärt haben.
Mittlerweile müssen sich die Vergabestellen auch tiefergehende Gedanken über ihr Wertungssystem machen, insbesondere zur Bedeutung des Angebotspreises der Planer: Nach der Entscheidung des EuGH vom Juli 2019 gibt es keine verbindlichen Mindest- oder Höchtstsätze in der HOAI mehr. Der Angebotspreis kann also durchaus Gegenstand der Wertung sein. Für die Auskömmlichkeitsprüfung von Angebotspreisen kann die HOAI aber wohl nach wie vor einen guten Rahmen bilden. Es wird schließlich auch als zulässig angesehen, Planung und Errichtung in einem Vorhaben zu vergeben, was bei technischen Spezialleistungen v.a. für die Leistungsphasen 4 und 5 (Genehmigungsplanung, Ausführungsplanung) durchaus Sinn machen kann, die Kontrollmöglichkeiten des Auftraggebers aber einschränkt.
Bedeutung Kostenschätzung / Schätzung des Auftragswerts / Bildung von Losen
Wie oben schon skizziert, stellt der beauftragte Ingenieur im Zuge der Leistungsphase 2 (Vorplanung) nach HOAI regelmäßig eine detaillierte Kostenschätzung für das Projekt an – häufig sogar nach DIN-Regeln, die dafür nähere Vorgaben enthalten. Bei großen und komplexen Bauvorhaben, die europaweit vergeben werden, ist eine realistische Kostenschätzung von entscheidender Bedeutung. Auch § 3 der VgV schreibt dem Auftraggeber eine realistische Kostenschätzung ins Stammbuch und verbietet ihm das „Kleinrechnen“ von Projekten (§ 3 Abs. 2 Satz 1 VgV). Gleichzeitig hat der Auftraggeber bei Bauvergaben nach § 3 Abs. 9 VgV die Möglichkeit, ein Los mit einem Anteil von bis zu 20 % des Gesamtwertes von der europaweiten Vergabe auszunehmen. Stehen dem Auftraggeber nur begrenzte Haushaltsmittel zur Verfügung, kann er überlegen, einen Wirtschaftlichkeitsvorbehalt in die Ausschreibung aufzunehmen, wonach die Ausschreibung aufgehoben wird, wenn ein definierter Gesamthöchstwert überschritten wird (Siehe auch zu Kostenvorbehalt bei Bauausschreibungen den Newsletter-Artikel 3: Baupreisexplosion – Vergabeverfahren unter Kostenvorbehalt?).
Bei der Vorbereitung der Vergabeverfahren für die Errichtung der Anlagen muss der Auftraggeber das Losbildungsgebot im Auge behalten. Es gilt als drittschützend – potenzielle Interessenten können eine unterbliebene Losbildung also durchaus per Nachprüfungsverfahren zur Überprüfung bringen. Für die Auftragsschätzung sind – vorbehaltlich der Ausnahme in § 3 Abs. 9 VgV (s.o.) grundsätzlich alle Lose zusammenzurechnen. Ausnahmsweise kann auch die Beauftragung eines Generalunternehmers mit der Erbringung und Koordination aller Leistungen in Betracht kommen. Diese muss sich aber sachlich überzeugend begründen lassen, die Begründung muss dokumentiert werden (OLG München, B. v. 25.03.2019, Verg 10/18).
So kann dem Anliegen des Auftraggebers Rechnung getragen werden, Schnittstellen zu vermeiden und eine einheitliche Gewährleistungsverantwortung zu erreichen. Als nachteilig kann sich eine fehlende Fachkompetenz des Ansprechpartners und eine nahezu unübersehbare Anzahl an Subunternehmern, auf die der Auftraggeber grundsätzlich nicht direkt einwirken kann, erweisen. Insoweit ist genau zu überlegen, ob dieser Weg ergriffen werden soll. Womöglich kann in einer „Teil“-GU-Vergabe eine Lösungsstrategie liegen, also nur für definierte Gewerke, während die anderen in Losen vergeben werden.
Merkpunkte zur Vorbereitung der Vergabe der Errichtung / Verfahrensart / Durchführung
Nicht nur für die Planervergabe (s.o.), sondern zumeist auch für Bau und Errichtung der Anlagen kommt bei technische komplexen Großprojekten regelmäßig ein Verhandlungsverfahren mit vorgeschaltetem Teilnahmewettbewerb gem. § 17 VgV bzw. § 3a Abs. 2 VOB/A EU in Betracht, wenn auch hier – wohl im Unterschied zur Planervergabe – detailliert geprüft werden muss, ob ausnahmsweise die Voraussetzungen hierfür vorliegen. Das Verfahren eröffnet dem Auftraggeber die Möglichkeit, für das Projekt erfahrene Unternehmen zu binden, die in der Lage sind, die Komplexität des Verfahrens zu beherrschen. Im Teilnahmewettbewerb wählt der Auftraggeber nach vorher festgelegten (Eignungs-) Kriterien bzw. einer Matrix die Teilnehmer aus, mit denen er – dann als Bieter – weiter verhandeln will. Der Auftraggeber kann die Zahl der Teilnehmer mit denen er verhandeln will, begrenzen. Dann muss er dies aber bereits in den Vergabeunterlagen transparent kundtun (§ 51 Abs. 1 VgV).
An die Auswahl der Bieter, mit denen weiterverhandelt werden soll, schließt sich die Angebotsphase an. Es werden erste Angebote abgefragt, die sowohl eine nähere technische Konkretisierung als auch schon Preise enthalten können. Anhand einer vorläufigen Entscheidung kann dann schon eine Entscheidung darüber getroffen werden, mit wem weiterverhandelt werden soll, wenn dies in der Bekanntmachung vorgesehen ist. Er muss aber auch nicht verhandeln – wenn er sich dies ebenfalls ausdrücklich vorbehalten hat. Regelmäßig wird der Auftraggeber festlegen, welche Inhalte der Vergabeunterlagen verhandelbar sind und welche nicht. Verhandlungen über Mindestanforderungen und Zuschlagskriterien sind jedenfalls ausgeschlossen (vgl. § 17 Abs. 10,12 VgV). Werden die Verhandlungen nach VOB/A geführt, muss die Vergabestelle davon ausgehen, dass die Bieter sich kennen und voneinander wissen. Dies engt den Spielraum für mögliche Preisverhandlungen möglicherweise ein, über Technische Details kann aber durchaus noch gesprochen werden.
Auch vertragliche Regelungen können Gegenstand der Verhandlungen sein (z.B: für Abfallbehandlungsanlagen Themen wie Reisezeit, Verfügbarkeit etc.). Es bietet sich dann an, die Ergebnisse der Verhandlungen sowohl protokollarisch festzuhalten als auch im Ergebnis derselben ein neues Angebot abzufordern. Im endgültigen Angebot muss der Verhandlungsstand sich dann vollständig abbilden. Sind die Mindestanforderungen erfüllt, werden die letztverbindlichen Angebote anhand der Zuschlagskriterien ausgewertet und das Bestangebot ermittelt.
Fazit
Als Fazit lässt sich festhalten: Es verwundert nicht, dass technische Großprojekte viel Vorarbeit und nicht zuletzt eine frühzeitige vergaberechtliche Planung erfordern. Wichtig ist eine enge und gute Zusammenarbeit von Vergabestelle, technischen Beratern/Planern und juristischen Berater:innen sowie eine umfassende und nachvollziehbare Dokumentation sämtlicher Arbeitsschritte und möglichst auch sämtlicher Projektbesprechungen. Auch die Gremien sollten durchgehend über zentrale Projektfortschritte informiert werden. Dann ist der Auftraggeber auch für etwaige Nachprüfungen gerüstet.
[GGSC] berät öffentliche Auftraggeber bei der Vorbereitung und Durchführung solcher Verfahren.