Nachfordern oder nicht – ein Balanceakt für den öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger
Aufgrund der hohen Komplexität der Vergabe verläuft kaum ein Verfahren reibungslos. Insbesondere im rechtssicheren Umgang mit der Nachforderung bei unvollständigen oder fehlerhaften Angeboten ergeben sich mangels klarer und einheitlichen Rechtsprechung regelmäßig Schwierigkeiten.
Gründe für das Nachfordern
Der Auftraggeber kann nach § 56 Abs. 2 VgV bzw. muss nach Art. 16a EU Abs. 1 VOB/A unter Einhaltung der Grundsätze der Transparenz und Gleichbehandlung dazu auffordern, fehlende, unvollständige oder fehlerhafte unternehmensbezogene Unterlagen nachzureichen, zu vervollständigen oder zu korrigieren, sowie fehlende oder unvollständige leistungsbezogene Unterlagen nachzureichen oder zu vervollständigen. Vor dem Hintergrund der haushalsrechtlichen Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit und Zweck des Vergabeverfahrens, das wirtschaftlich günstigste Angebot zu wählen und ein solches nicht an einer zu formalistischen Betrachtungsweise scheitern zu lassen, soll eine „überspitzte Förmelei“ bei der formalen Angebotsauswertung verhindert werden. Allerdings bereitet häufig bereits die Einordnung von Unterlagen als „fehlend“, bzw. „unvollständig“ einerseits und „fehlerhaft“ andererseits Schwierigkeiten.
„Fehlende“ und „unvollständige“ Unterlagen
Hinsichtlich unvollständiger Referenzen entschied etwa das OLG Frankfurt (Beschl. v. 1.10.2020 – 11 Verg 9/20), dass die in den Vergabeunterlagen enthaltenen, vom Bieter nicht ordnungsgemäß ausgefüllten Formulare ohne weiteres unter Einhaltung der Grundsätze der Transparenz- und Gleichbehandlung nachgefordert werden könnten. In der dem Sachverhalt zugrundeliegenden Konstellation hatte der Bieter entgegen der Vorgaben die beim Referenzgeber verantwortliche Person nicht mitangegeben. Er hatte außerdem keine Ausführungen zur konkreten Referenzleistung gemacht. Beides durfte laut dem Senat durch den Auftraggeber nachgefordert werden. Ebenfalls zur Frage wann eine Unterlage fehlt, entschied das OLG München (Beschl. v. 27.07.2018 – Verg 2/18), dass auch Unterlagen, die in rein formaler Hinsicht nicht den Vorgaben des öffentlichen Auftraggebers entsprechen, als „fehlend“ angesehen werden können. Das vorgelegte formal falsche bzw. untaugliche Dokument werde in solchen Konstellationen als „aliud“ betrachtet und soll nicht als der geforderte (fehlerhafte) Beleg gelten. Als Beispiel führt der Senat etwa eine fehlende Beglaubigung oder Gültigkeitsdauer an. Bei Vorlage eines veralteten Führungszeugnisses durch den Bieter sei es also zulässig, ein aktuelles nachzufordern.
Korrektur „Fehlerhafte“ Unterlagen
Im Gegensatz dazu geht das OLG Karlsruhe (Beschl. v. 14.08.2019 – 15 Verg 10/19) in Bezug auf eine Versicherungsbestätigung mit zu niedriger Deckungssumme davon aus, dass die Unterlage nicht fehlen könne, da sie körperlich vorliege. Bei der Prüfung ob die Angebote formal vollständig sind, dürfe der öffentliche Auftraggeber keine weitere inhaltliche Prüfung der mit dem Angebot vorgelegten Unterlagen vornehmen.
Insofern bestehe eine Nachforderungsmöglichkeit im Hinblick auf körperlich vorhandene Erklärungen oder Nachweise nur, wenn sie in formaler Hinsicht von den Anforderungen abweichen. Stattdessen sei die Versicherungsbestätigung als fehlerhaft einzustufen, da sie zwar vorliege, ihr Inhalt aber nicht den Anforderungen genüge. Solche fehlerhaften Unterlagen könnten dann auch vor dem Hintergrund einer richtlinienkonformen Auslegung nicht mehr zulässig nachgefordert werden. Auch das OLG Düsseldorf (Beschl. v. 28.3.2018 – VII-Verg 42/17) bleibt hinsichtlich des Nachforderns fehlerhafter Unterlagen seiner alten Rechtsprechung treu, wonach körperlich vorliegende Unterlagen nur dann nachgefordert werden dürften, wenn sie in formaler Hinsicht von den Anforderungen abweichen. Aber Achtung: Während eine Korrektur leistungsbezogener Angaben vor dem Hintergrund des Verhandlungsverbots ausgeschlossen ist, dürfen Angaben, die sich auf die Fähigkeiten des Unternehmens beziehen, nach der Rechtsprechung des OLG Düsseldorf (Beschluss vom 01.04.2020) sogar korrigiert werden.
Fazit
Im Rahmen des Nachforderns ist stets die Balance zwischen dem vergaberechtlichen Wettbewerbsgrundsatz, bzw. den Grundsätzen der Transparenz und Gleichbehandlung und dem Grundsatz der wirtschaftlichen Beschaffung zu bewahren. Wo genau hier die Grenzen liegen ist eine der Fragen, die sehr häufig für den Einzelfall von den Vergabekammern entschieden werden muss.
[GGSC] berät regelmäßig öffentliche Auftraggeber bei der Durchführung von Vergabeverfahren.