Selbstbindung des Auftraggebers für die Kommunikation im Vergabeverfahren
Ein Auftraggeber muss sich an der von ihm selbst vorgegebenen Form der Kommunikation festhalten lassen. Ein Angebot darf daher nicht gemäß § 57 Abs. 1 Nr. 2 VgV wegen Versäumung einer Nachreichungsfrist ausgeschlossen werden, wenn Erklärungen oder Nachweise entgegen der Bewerbungsbedingungen per E-Mail und nicht über die Vergabeplattform nachgefordert wurden (VK Sachsen, Beschl. v. 14.04.2023 – 1/SVK/003-23).
Sachverhalt
Die Antragsgegnerin, eine öffentliche Auftraggeberin, beabsichtigte die Vergabe zweier Rahmenverträge zur Lieferung von Server- bzw. Speichertechnik. Nach den Bewerbungsbedingungen sollte die Kommunikation ausschließlich über eine bestimmte Vergabeplattform erfolgen. Die Antragsgegnerin forderte die Beigeladene, die bezuschlagte bzw. Bestbieterin, per E-Mail zur Nachreichung von Unterlagen bis zum 04.11.2022 auf. Die Beigeladene kam dem erst am 10.11.2022 nach. Am 11.11.2022 erklärte die Antragsgegnerin, dass die Nachreichung kulanterweise berücksichtigt werde. Die Antragstellerin, eine weitere Bieterin, macht geltend, dass das Angebot gemäß § 57 Abs. 1 Nr. 2 VgV wegen verspäteter Antwort auszuschließen sei.
Selbstbindung
Wenn Bewerbungsbedingungen einen Hinweis zur Kommunikation (nur) über die Vergabeplattform enthalten, ist ein Auftraggeber im Wege der damit verbundenen Selbstbindung auf diese Form der Kommunikation beschränkt. Er kann diese Selbstbindung auch nicht durch den bloßen Versand eines Nachforderungsschreibens mittels E-Mail nachträglich stillschweigend ändern. Vorliegend kam noch hinzu, dass die Antragsgegnerin zwar die Benachrichtigung, dass die Zustellung abgeschlossen sei, nicht aber eine Zustellbenachrichtigung vom Zielserver oder eine Eingangsbestätigung erhielt.
Treuwidriges Verhalten
Nach alldem hat die VK Sachsen entschieden, dass es der Antragsgegnerin gem. § 241 Abs. 2 BGB nach Treu und Glauben verwehrt ist, sich auf den Zugang des per E-Mail versandten Nachforderungsschreibens zu berufen. Eine Frist zur Nachreichung wurde mithin überhaupt nicht wirksam ausgelöst. Die Pflicht zur gegenseitigen Rücksichtnahme nach § 241 Abs. 2 BGB ergibt sich aus dem ab der Angebotsabgabe entstehenden vertragsähnlichen Vertrauensverhältnis. Sie wurde missachtet, soweit die Antragsgegnerin vom angekündigten Kommunikationsweg abgewichen ist und Indizien für den fehlgeschlagenen Zugang ignoriert hat.
Vorsicht ist also geboten, wenn der Auftraggeber – obwohl in seinen eigenen Verfahrens- bzw. Bewerbungsbedingungen anders vorgegeben – von solchen Kommunikationswegen abweicht. [GGSC] sichert für öffentliche Auftraggeber konsequente Vergaben ab, in denen auch und besonders auf die richtigen Kommunikationswege geachtet wird.
Co-Autor: Rechtsanwalt Cornelius Buchenauer