Newsletter Vergabe Juni 2022

Achtung vor vermeintlichen Bieterfragen – Die Rüge steckt im Detail

Zur Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes werden seitens der Rechtsprechung an die Rügeobliegenheit am Vergabeverfahren beteiligter Bieter keine hohen Anforderungen gestellt. In seiner aktuellen Entscheidung hat das OLG Schleswig noch einmal betont, dass selbst in einer Frage unter bestimmten Voraussetzungen eine Rüge zu sehen sein kann. 

Präklusion im Nachprüfungsverfahren bei fehlender Rüge

Grundsätzliche Voraussetzung für die Zulässigkeit eines Nachprüfungsantrags ist, dass der betreffende Bieter den vermeintlichen Vergabeverstoß gegenüber der Vergabestelle gerügt hat. Ist dies unterblieben, ist der Bieter mit dem Vortrag präkludiert. Ob tatsächlich eine Rüge angebracht wurde und welche Anforderungen an diese zu stellen sind, ist regelmäßig Gegenstand der Auseinandersetzung vor den Nachprüfungsinstanzen. Zuletzt hat sich das OLG Schleswig mit den formellen und materiellen Anforderungen der Rügeobliegenheit und insbesondere der Abgrenzung von Bieterfragen und Rüge beschäftigt (Beschluss vom 04.02.2022, 54 Verg 9/21).

Geltendmachung von Vergabeverstößen nicht an Formvorschriften gebunden

Weder § 160 GWB noch anderen Vorschriften enthalten konkrete Form- oder Inhaltsvorgaben. Auch in der Spruchpraxis werden im Hinblick auf das Gebot des effektiven Rechtsschutzes grundsätzlich in formeller und inhaltlicher Hinsicht keine hohen Anforderungen an die Rügeobliegenheit gestellt.

Erforderlich ist lediglich, dass der Rüge eine konkrete vergaberechtliche Beanstandung zu entnehmen ist. Hierzu hat der Bieter mitzuteilen, welchen Sachverhalt er für vergaberechtswidrig hält, ebenso wie für die Vergabestelle zu erkennen sein muss, dass eine Beseitigung des angesprochenen Vergaberechtsfehlers gefordert wird. An den Inhalt einer Rüge sind, schon deshalb, weil sich die Rügeobliegenheit in der Regel an juristische Laien richtet, keine übersteigerten Anforderungen zu stellen. Der Begriff der Rüge muss nicht ausdrücklich gebraucht werden. Auch bestehen für die Rüge keine expliziten Formvorschriften. Es soll reichen, wenn der Bieter den Sachverhalt schildert und dabei deutlich macht, dass er ihn als Verstoß gegen das Vergaberecht ansehe und Abhilfe erwartet.

Obacht bei Bieterfragen

Der ständigen Rechtsprechung folgend hat das OLG Schleswig in seiner Entscheidung hervorgehoben, dass nicht nur an den Inhalt einer Rüge keine hohen Anforderungen zu stellen, sondern auch eine Frage als Rüge anzusehen sei, wenn sich aus ihr ergebe, was als vergaberechtswidrig beanstandet werde. Nach diesen Maßgaben kann durchaus auch eine in Frageform gekleidete Einlassung als Rüge zu betrachten sein. Dies gilt etwa dann, wenn sich aus dem Inhalt der Einlassung ergibt, dass es sich nicht nur um eine bloße (Verständnis-)Frage oder um eine reine Äußerung rechtlicher Zweifel handelt. Vielmehr muss das Vorgebrachte als an den Auftraggeber adressierte Mitteilung zu verstehen sein, die derzeitige Vorgehensweise als vergaberechtswidrig zu erachten. Dies muss mit der ernstgemeinten Aufforderung verbunden sein, den betreffenden Vergaberechtsverstoß zu beseitigen.

Auftraggeber sollten daher eingehende Bieterfragen sorgfältig daraufhin prüfen, ob es sich tatsächlich um bloße Anfragen bzw. Feststellungen zu missverständlichen Formulierungen in den Vergabeunterlagen handelt, oder ob ihnen ein Rügecharakter innewohnt. Im Zweifel kann es angezeigt sein, Bieteranfragen umfassend als Rüge zu betrachten, um für den Bieter mit einer Rückweisung die Rechtsbehelfsfrist von 15 Tagen für einen Nachprüfungsantrag in Gang zu setzen.

[GGSC] berät öffentliche Auftraggeber umfassend zum Vergaberecht und unterstützt sie bei der Durchführung eines rechtskonformen Vergabeverfahrens.

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