Gesamtvergabe nur mit hinreichend dokumentierten Gründen – OLG Rostock
Die Gesamtvergabe eines Auftrags darf nur dann erfolgen, wenn der Auftraggeber die Vor- und Nachteile einer Fachlosvergabe sorgfältig abwägt und dokumentiert, dass technische und wirtschaftliche Gründe für eine Gesamtvergabe überwiegen.
Der AG hat dabei einen gewissen Beurteilungsspielraum, muss jedoch die typischen Vor- und Nachteile einer Fachlosvergabe unter Berücksichtigung der gesetzlichen Vorgaben und der spezifischen Umstände des Einzelfalls in seine Abwägung einbeziehen.
Sachverhalt
In einem konkreten Fall wollte ein Auftraggeber die Gewerke für den Bau einer Lärmschutz- und einer Kollisionsschutzwand nicht getrennt als Fachlose, sondern im Gesamtpaket an einen Generalunternehmer vergeben. Begründet wurde dies mit der engen Verzahnung der Wände mit dem Brückenbau, da die Bohrpfähle sowohl als Stützwand für den Straßendamm als auch als Absturzsicherung dienen sollten. Der Zeitpunkt der Herstellung der Bohrpfähle sei von der noch zu bestimmenden Technologie für die Vorlandbrücken abhängig. Eine nachträgliche Losvergabe der Gewerke würde zu einer späteren Freigabe der Ortsumgehung und einem damit verbundenen volkswirtschaftlichen Schaden führen. Ein spezialisierter Bieter, der auf Schutzwände spezialisiert ist, beanstandete die fehlende Fachlosbildung mit der Begründung, dass typische Schnittstellenprobleme keine hinreichende Grundlage für eine Gesamtvergabe seien.
Die Entscheidung
Das Oberlandesgericht Rostock (Beschluss vom 18.07.2024 – Az. 17 Verg 1/24) entschied zugunsten des Bieters und forderte den Auftraggeber auf, die Prüfung und Dokumentation der Gesamtvergabe zu wiederholen. Da der Einsatz von Nachunternehmern für die Schutzwandarbeiten nicht ausgeschlossen wurde, prüfte das Gericht die Vorteile der Generalunternehmer-Vergabe im Vergleich zur Fachlosvergabe. Nachteile, die in beiden Szenarien gleichermaßen auftreten, waren bei der Abwägung nicht relevant. Typische Nachteile wie erhöhte Koordinierungsaufgaben bei einer Fachlosvergabe wurden ohne das Vorliegen besonderer Umstände nicht als ausschlaggebend angesehen.
Wesentlich für die Entscheidung war, dass der Auftraggeber nicht nachvollziehbar dokumentiert hatte, warum die Nutzung der Schutzwände als Absturzsicherung bei Einsatz eines Nachunternehmers nicht sichergestellt werden könne. Ebenso konnte der volkswirtschaftliche Schaden infolge einer verzögerten Verkehrsfreigabe nicht ausreichend belegt werden, da die Berechnungsgrundlagen zur Beschleunigungsvergütung ungenau waren.
Fazit
Der Auftraggeber hat bei der Abwägung zwar nach § 5 Abs. 2 VOB/A bzw. § 5 Abs. 2 Nr. 1 EU VOB/A einen Ermessensspielraum, doch die Begründung für eine Gesamtvergabe muss nach § 5 Abs. 2 Nr. 1 EU VOB/A begründet und möglichst umfassend und gut dokumentiert sein. Die Anforderungen an die Begründung und Dokumentation sind hoch, um sicherzustellen, dass die Gesamtvergabe die Ausnahme bleibt. Kommt es zu einem Nachprüfungsverfahren, sollte der Auftraggeber etwaige Lücken in der Begründung und Dokumentation schnellstmöglich beheben.