Zwischen Widerruf und Wertersatz: Tücken beim Verbrauchervertrag
Gerade mittelständische Unternehmen werden häufig von Verbrauchern mit Leistungen für einzelne oder mehrere Gewerke beauftragt und nicht mit der Erstellung schlüsselfertiger Bauwerke. Es handelt sich dann „nur“ um einen Bauvertrag mit Verbrauchern (§ 312 Abs. 1 BGB), nicht um einen Verbraucherbauvertrag.
Im vorangegangenen Beitrag in diesem Newsletter haben wir Hinweise dazu gegeben, wann die Rechtsprechung von einem Verbraucherbauvertrag ausgeht.
Die Fälle
Die Anforderungen an Bauunternehmer über die Informationspflichten des Verbrauchers sind bei Verträgen über Einzelgewerke und kleinere Bauvorhaben deutlich geringer, als bei Verbraucherbauverträgen. Das betrifft auch die Belehrung des Verbrauchers über dessen Widerrufsrecht. In der Praxis bestand in der Vergangenheit jedoch Unklarheit darüber, wann den Auftraggebern überhaupt ein Widerrufsrecht zustand. So warnten Handwerksverbände in verschiedenen Schreiben deren Mitglieder vor den drastischen Konsequenzen versäumter oder
unvollständiger Widerrufsbelehrungen.
Anlass der Hinweise der Berufsverbände war der erste hier besprochene Fall, in dem ein Unternehmen mündlich mit der Erneuerung der Elektroinstallation am Eigenheim eines Verbrauchers beauftragt wurde. Eine Information über das Widerrufsrecht des Vertrags erfolgte nicht. Nach Fertigstellung der Leistungen und Zugang der Schlussrechnung widerrief der private Auftraggeber den Vertrag und verweigerte jegliche Zahlung.
Im zweiten Fall ging es um ein Dachdeckerunternehmen, das von Privatpersonen mit der Erneuerung von Dachrinnen beauftragt war. Bei der Ausführung dieser Arbeiten stellten die Mitarbeiter des Dachdeckerunternehmens fest, dass auch der Wandanschluss des Daches undicht ist. Nach einem Hinweis auf diese Undichtheit beauftragten die Auftraggeber das Dachdeckerunternehmen am Folgetag auch mit der Erneuerung des Wandanschlusses. Eine Belehrung über ein Widerrufsrecht gab es auch hier nicht. Nach Fertigstellung der Arbeiten widerriefen die Auftraggeber ebenfalls den Vertrag über die Dachabdichtung und verweigerten die Werklohnzahlung, woraufhin das Dachdeckerunternehmen Zahlungsklage erhob.
Die Entscheidungen
Der erste Fall gelangte zum Europäischen Gerichtshof (EuGH), der im Urteil vom 17.05.2023 (C-97/22) entschied, dass in solchen Fällen Unternehmen weder Anspruch auf Werklohnzahlung noch auf Wertersatz haben. Nach der Entscheidung des EuGHs betrifft das ausdrücklich auch Fälle, in denen der Auftraggeber die erbrachte Leistung vollständig nutzen kann und damit einen entsprechenden Vermögensvorteil erlangt. Auch eine dauerhafte, kostenlose Bereicherung des privaten Auftraggebers zu Lasten des Auftragnehmers rechtfertigt nach Auffassung des Gerichts keine Ausnahmen.
Aufgrund dieser strengen Auslegung des Verbraucherrechts durch den EuGH ist die Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 06.06.2023 zum zweiten Fall von besonderer Bedeutung (VII ZR 151/22). Der BGH stellt in seinem Urteil klar, dass ein Widerrufsrecht nach § 312g Abs. 1 BGB auch bei Bauverträgen mit Verbrauchern nur besteht, wenn der Vertrag bei gleichzeitiger Anwesenheit der Parteien geschlossen wurde. Die typische Druck- oder Überraschungssituation, vor der Verbraucher mit dem Widerrufsrecht geschützt werden sollen, besteht nämlich nur, wenn diese keine Bedenkzeit vor ihrer Entscheidung über den Vertragsschluss haben.
Hier haben die Auftraggeber das Angebot des Auftragnehmers zwar außerhalb von dessen Geschäftsräumen angenommen, jedoch erst am Folgetag. Eine gleichzeitige Anwesenheit beider Vertragsparteien gab es daher nicht, weshalb den privaten Auftraggebern auch kein Widerrufsrecht zusteht, über das hätte belehrt werden müssen. Das Dachdeckerunternehmen hat daher einen Anspruch auf Werklohnzahlung auch für die Abdichtungsarbeiten am Wandanschluss.
Auswirkungen für die Praxis
Die Entscheidung des EuGHs zeigt, dass Versäumnisse von Auftragnehmern über Widerrufsrechte einschneidende Folgen haben können. Wenn diesen weder die Werklohnzahlung noch Wertersatz zusteht, bleibt Ihnen nur die Rückgewährpflicht des Auftraggebers über die erlangten Leistungen. Dieser Anspruch läuft praktisch bei Bauleistungen meist leer, da aufgewandte Arbeitsleistungen nicht zurückgewährt werden können. Darüber hinaus sind Bauteile häufig so mit dem Bauwerk des Auftraggebers verbunden, dass diese nicht zerstörungsfrei entfernbar sind. Bauunternehmen sollten Verbraucher daher über deren Widerrufsrecht informieren und dies auch dokumentieren. Hierbei ist auch die Belehrung wichtig, dass der Auftraggeber Wertersatz zu leisten hat, wenn er ausdrücklich den Beginn der Arbeiten vor Ablauf der Widerrufsfrist verlangt.
Sollte bei der Widerrufsbelehrung dennoch etwas schiefgelaufen sein, ist für den Auftragnehmer das Kind nicht zwangsläufig in den Brunnen gefallen. Gab es nämlich bei einem Vertragsschluss „auf der Baustelle“ keine gleichzeitige Anwesenheit beider Parteien, so besteht auch kein Widerrufsrecht des Verbrauchers. Ebenso wird bei den heute üblichen Abläufen, bei denen ein Verbraucher online oder per E-Mail ein Angebot des Unternehmers einholt und später annimmt, häufig nicht gleich ein sog. Fernabsatzsystem vorliegen. Auch insoweit steht dem Verbraucher dann kein Widerrufsrecht zur Seite.