OVG Lüneburg erteilt dem Sondergebiet „SO Dauerwohnen“ eine Absage
In den allermeisten Tourismusgemeinden herrscht Mangel an (bezahlbarem) Dauerwohnraum für die ortsansässige Bevölkerung. Ortsansässige können sich angemessenen Wohnraum nicht mehr leisten; Wohnungen unterliegen einem starken Umwandlungsdruck in Richtung Ferienwohnungen oder Zweitwohnungen zur Freizeitnutzung. Während Ferienwohnungen häufig ganzjährig genutzt werden, stehen Freizeit-Zweitwohnungen vielfach während eines Großteils des Jahres leer und führen zu städtebaulichen Missständen wie „Rollladensiedlungen“ und einer Unterauslastung kommunaler Infrastrukturen.
Bezahlbarer Dauerwohnraum für Ortsansässige als Planungsziel
Die Tourismusgemeinden versuchen seit Jahren, dem Phänomen mit den Mitteln des Bauplanungsrechts zu begegnen. Dabei stellt sich insbesondere die Frage, ob und mit welchen bauplanungsrechtlichen Festsetzungstechniken die Nutzung als Freizeit-Zweitwohnung ausgeschlossen werden kann. Dem liegt die Problematik zu Grunde, ob innerhalb des Begriffs des „Wohnens“ zwischen einem „Dauerwohnen“ einerseits und einer Nutzung als „Freizeit-Zweitwohnung“ in planungsrechtlicher Hinsicht unterschieden werden kann.
Ausdifferenzierung des Begriffs ‚Wohnen‘: Dauerwohnen, Ferienwohnen, Freizeitwohnen
Seit der Änderung der Baunutzungsverordnung im Jahr 2017 sind Ferienwohnungen gem. § 13 a BauNVO als eigener Nutzungstyp dadurch definiert, dass sie einem „ständig wechselnden Kreis von Gästen gegen Entgelt vorübergehend zur Verfügung gestellt werden“. Auch kennt § 11 Abs. 2 S. 2 BauNVO mittlerweile den Begriff des „Dauerwohnens“ und lässt Sondergebiete zu, die aus einer Mischung aus Dauerwohnen einerseits und Fremdenbeherbergung oder Ferienwohnen andererseits bestehen. Das Gesetz lässt allerdings dem Wortlaut nach die Frage offen, ob auch ein reines Dauerwohngebiet als Sondergebiet festgesetzt werden kann. Die „wesentliche Unterscheidbarkeit“ von den standardisierten Baugebieten der BauNVO ist grundlegende Voraussetzung für die Festsetzung eines Sondergebiets. Der entsprechenden Praxis vieler Tourismusgemeinden ist das OVG Lüneburg nun mit Urteil vom 13.05.2022 (1 K N 85/20) entgegengetreten und hat entschieden, dass sich ein Sondergebiet mit der einzig zulässigen Nutzung „Dauerwohnen“ nicht wesentlich von einem reinen Wohngebiet im Sinne des § 3 BauNVO unterscheide und daher nicht sondergebietsfähig sei.
Bemerkenswert an dem Urteil des OVG Lüneburg ist die Feststellung, dass es sich bei Freizeit-Zweitwohnungen um eine selbstständig identifizierbare Variante des Wohnens handle, die sich mittels des Feinsteuerungsinstrumentariums des § 1 BauNVO (hier § 1 Abs. 5 i.V.m. Abs. 9 BauNVO) aus dem allgemeinen Wohnbegriff ausschließen lasse. Die insoweit zur Rechtfertigung des Ausschlusses erforderlichen besonderen städtebaulichen Gründe lägen etwa in der Vermeidung von Leerstand während der überwiegenden Zeit des Jahres.
Lösungsansatz: Das „besonders reine“ Wohngebiet
Wenn es auch an einer höchstrichterlichen Klärung dieser Frage noch fehlt, dürfte die Entscheidung des OVG Lüneburg bereits in hohem Maße Rechtssicherheit für die planenden Tourismusgemeinden schaffen und ermöglichen, dass „besonders reine“ Wohngebiete festgesetzt werden, die dem Dauerwohnen von Personen mit Lebensmittelpunkt in der Tourismusgemeinde vorbehalten sind. Die darüber hinaus angestrebte „Bezahlbarkeit“ von Dauerwohnungen in Tourismusgemeinden wird dadurch zwar nicht gewährleistet. Insoweit ist auf die Instrumente des geförderten kommunalen Wohnungsbaus, auf Erbbaurechte oder städtebauliche Verträge zurückzugreifen. Zumindest mittelbar fördert jedoch der Ausschluss von Freizeit-Zweitwohnungen die Bezahlbarkeit insofern, als dadurch die lukrativste Form der Vermarktung einer Immobilie
beschränkt wird.
Für weitere Informationen zum Thema wenden Sie sich gerne an Rechtsanwältin Dr. Maren Wittzack und Rechtsanwalt Dr. Gerrit Aschmann.