Zweckentfremdungsrecht bei gewerblicher Nutzung
Derzeit beraten wir viel in zweckentfremdungsrechtlichen Verfahren. Zu Problemen führen dabei immer wieder Fallgestaltungen, in denen Einheiten auf einem Grundstück bereits seit Jahrzehnten gewerblich genutzt werden, insbesondere bei Einheiten in oberen Geschossen.
Die Behörde unterstellt dann häufig, dass die gewerbliche Nutzung zu keinem Zeitpunkt genehmigt wurde. Die Praxis zeigt jedoch, dass diese Unterstellung oft nichtzutreffend ist. Im Einzelnen gilt Folgendes:
Zweckentfremdungsverbot
Wohnraum darf in Berlin nicht zweckentfremdet werden. Voraussetzung ist daher, dass es sich auch tatsächlich und rechtlich um Wohnraum handelt. Um Wohnraum handelt es sich auch bei einer ursprünglich zu Wohnzwecken genehmigten Einheit dann nicht (mehr), wenn irgendwann in der Vergangenheit eine Nutzungsänderungsgenehmigung (z. B. für Bürozwecke) erteilt wurde. In der Vergangenheit wurden zu Zeiten ohne besonderen Wohnraumbedarf vielfach entsprechende Nutzungsänderungsgenehmigungen erteilt, und zwar auch für überwiegend zu Wohnzwecken genutzte Gebäude und z. B. auch für Einheiten im 3. OG.
Der Nachweis einer entsprechenden Nutzungsänderungsgenehmigung ist häufig nicht leicht zu führen, insbesondere wenn der Grundstückseigentümer das Grundstück erst vor einigen Jahren erworben hat und ihm nur unvollständige Unterlagen vorliegen. Dann ist es erforderlich, Einsicht in die Grundstücks- bzw. Bauakten zu nehmen. Auch insoweit können sich Probleme ergeben, wenn Archive unvollständig sind, was leider nicht selten vorkommt. In rechtlicher Hinsicht ist in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, dass im Verwaltungsrecht der Untersuchungsgrundsatz gilt, d. h. die Behörde ist selbst gefordert, Einsicht in die entsprechenden Archive zu nehmen, um auch die für die Grundstückseigentümer günstigen Tatsachen zu ermitteln; es gilt insoweit § 24 VwVfG.
Nachweisführung
Lässt sich die Genehmigungslage nicht abschließend aufklären, so ist darauf abzustellen, ob die jahrzehntelange gewerbliche Nutzung durch die Vorlage geeigneter Nachweise belegt werden kann. In einem von uns betreuten Fall konnte die jahrzehntelange gewerbliche Nutzung durch die Vorlage der entsprechenden Mietverträge sowie von Einträgen aus alten Telefonbüchern nachgewiesen werden mit dem Ergebnis, dass das zweckentfremdungsrechtliche Verfahren eingestellt wurde.
Gelingt es nicht, die Erteilung einer Nutzungsänderungsgenehmigung bzw. die jahrzehntelange gewerbliche Nutzung nachzuweisen, droht Grundstückseigentümern eine erhebliche Geldzahlung zum Ausgleich des durch gewerbliche Vermietung „vernichteten“ Wohnraums. Je nach Größe der Einheit können sich hier Beträge im 5- und 6-stelligen Bereich ergeben. Alternativ muss ein betroffener Grundstückseigentümer Ersatzwohnraum stellen.
Hinweis
Während laufender zweckentfremdungsrechtlicher Verfahren sollten Grundstückseigentümer vorsichtig sein, wenn es um die Neuvermietung einer entsprechenden Einheit geht. Uns sind Fälle bekannt, in denen ein Leerstand der Anlass für die Einleitung des zweckentfremdungsrechtlichen Verfahrens war. Da sich entsprechende Verfahren lange hinziehen können, sollte bei Neuvermietungen darauf geachtet werden, dass keine langfristigen Mietverträge abgeschlossen werden. So hat der Grundstückseigentümer zur Vermeidung einer hohen Ausgleichszahlung die Möglichkeit, die Einheit bei Bedarf wieder einer Wohnnutzung zuzuführen. Eine entsprechende Vorgehensweise ist insbesondere in Fällen zu empfehlen, in denen berechtigte Zweifel an der Erteilung einer Nutzungsänderungsgenehmigung bestehen, was regelmäßig bei einer erst ab 2013 oder später aufgenommenen Nutzung der Fall sein dürfte.