Aktuelle Entwicklungen - Artenschutz für den Ausbau der Windernergie an Land
Wie berichtet [vgl. vor allem [GGSC] Energie-Newsletter vom Mai 2021] führen die artenschutzrechtlichen Vorgaben nicht nur immer wieder zu einer erheblichen Verlängerung von Genehmigungsverfahren und häufigen Rechtsstreitigkeiten, sondern verhindern immer wieder die Errichtung von Windenergieanlagen (WEA) oder führen zu einer verringerten Ausnutzung eigentlich als Windvorranggebiete ausgewiesener Flächen. Die jüngste Rechtsprechung des OVG Greifswald macht hier Hoffnung. Daran anknüpfend möchte die Ampelkoalition nach dem gerade veröffentlichten Koalitionsvertrag Ausbauhemmnisse beseitigen und sieht dafür verschiedene Instrumente vor. Die Details bleiben den entsprechenden Gesetzgebungsverfahren vorbehalten. Es zeichnen sich allerdings verschiedene Stoßrichtungen ab.
Jüngste Rechtsprechung des OVG Greifswald – Errichtung von WEA innerhalb Schutzradien
Das OVG Greifswald hat in einer jüngsten Entscheidung darauf abgestellt, dass die Errichtung einer WEA auch dann genehmigungsfähig sein kann, wenn diese sich innerhalb des Ausschlussbereiches um ein Brutvorkommen einer besonders geschützten Art (hier die Rohrweihe) befindet (OVG Greifswald, Beschluss vom 13.04.2021, 7 B 2158/20, BeckRS 2021, 31208, Rn. 15 ff.).
Ein derartiges Ergebnis ist nicht neu. Werden bei der Planung von WEA die anzulegenden Schutzabstände unterschritten, kann die Betreibergesellschaft z.B. durch detaillierte Untersuchungen wie einer Habitatpotential- oder einer Funktionsraumanalyse der vorhandenen Vorkommen vor Ort (z.B. des Rotmilans) nachweisen, dass keine Beeinträchtigungen durch den Betrieb der WEA auftreten werden. Vorliegend fällt allerdings auf, dass sich die streitgegenständliche WEA in einem Abstand von lediglich 385 m innerhalb des anzusetzenden 500 m Schutzradius um das Vorkommen befinden sollten.
Allerdings musste sich die Betreibergesellschaft die Genehmigung der WEA auch „teuer erkaufen“. Die Genehmigungsbehörde hielt umfangreiche Abschaltzeiten, z.B. während der Balz-, Brut- und Jungvogelaufzucht für erforderlich.
Derartige Abschaltzeiten beeinträchtigen die Wirtschaftlichkeit einer oder mehrerer WEA nicht selten erheblich und können damit ggf. sogar die Realisierbarkeit einer WEA gefährden. Deshalb stellt sich die Frage, welche weitergehenden Möglichkeiten existieren, um die Genehmigung von WEA ohne Einschränkungen sicherzustellen. Genau hier setzt der Koalitionsvertrag der zukünftigen Bundesregierung an.
Wesentliche Punkte für den Ausbau Windenergie nach dem Koalitionsvertrag
Ein wesentlicher Punkt soll darin bestehen, hinsichtlich der artenschutzrechtlichen Anforderungen mehr Rechtssicherheit zu erreichen. Dies soll darüber gelingen, eine bundeseinheitliche gesetzliche Standardisierung von wichtigen Prüfkriterien festzulegen, wann ein Betrieb von WEA zu einem möglichen Verstoß gegen artenschutzrechtliche Verbotstatbeständen wie z.B. dem
Tötungsverbots gem. § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG führt.
Eine derartige Standardisierung i.S. einer TA-Artenschutz wird bereits länger diskutiert und wäre zu begrüßen. Bisher existieren entsprechende Vorgaben für die Genehmigungsebene in den meisten Flächenländern der Bundesrepublik meist als sog. Windenergieerlasse. Diese Zersplitterung erschwert eine einheitliche Auslegung vor allem auch durch das Bundesverwaltungsgericht.
Die Herausforderung besteht allerdings darin, Standardisierungen zu finden, welche in allen Bundesländern passen. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass hier sehr unterschiedliche topografische Bedingungen (Meeresregionen, Flachland, Mittelgebirge) existieren, welche eigentlich notwendig auch entsprechende Differenzierungen oder lokale Ausnahmen erfordern. Gleichzeitig liegen Untersuchungen zum Verhalten von durch den Betrieb der WEA gefährdeten Vogelarten bisher nur in sehr unterschiedlichen Umfängen vor. Die oberverwaltungsgerichtliche Rechtsprechung hatte sich zuletzt eher sehr kritisch mit der Verallgemeinerung von auf bestimmte Regionen bezogene Untersuchungen für das Verhalten der untersuchten Vogelarten auf ein gesamtes Bundesland geäußert (vgl. zuletzt VGH Kassel, Beschluss vom 14. Januar 2021 – 9 B 2223/20).
Eine entsprechende Standardisierung setzt somit eine sorgfältige und umfangreiche naturschutzfachliche und – rechtliche Vorbereitung voraus.
Ein weiteres wesentliches Element soll eine Klärung des Verhältnisses von Klimaschutz und Artenschutz sein. Ausgangspunkt ist die Annahme, dass die Errichtung von erneuerbaren Energien-Anlagen und damit auch von WEA im öffentlichen Interesse liegt und der öffentlichen Sicherheit dient. Dies kann konsequent angewandt nur ein Vorrang der Erzeugung von erneuerbaren Energien bedeuten, welcher gesetzlich festzuschreiben ist.
Konkret soll dies - unter gewissen Voraussetzungen – eine Regelvermutung für das Vorliegen der Ausnahmevoraussetzungen schaffen. Gemeint ist hier wohl eine Ausnahme gem. § 45 Abs. 7 BNatSchG.
Damit verbunden soll gleichzeitig eine stärkere Ausrichtung auf den Populationsschutz stattfinden. Dies bedeutet, dass ggf. Beeinträchtigungen von einzelnen Individuen am Ort eines Windparks in Kauf genommen werden, wenn dafür die Population an anderen Orten ohne den Betrieb von WEA gestärkt werden kann.
Wie berichtet – Newsletter vom Mai 2021 – hatte der EuGH (Rs. C-473/19 und C-474/19) jedoch zuletzt einer stärkeren populationsbezogenen Betrachtung eine Absage erteilt. Diese Entscheidung betraf allerdings im Kern die Frage, ob diese populationsbezogene Betrachtungsweise bereits bei einer entsprechenden Auslegung der Verbotstatbestände zulässig ist. Dies hätte den Vorteil, nicht die aufwändigeren Details einer Ausnahmeprüfung gem. § 45 Abs. 7 BNatSchG durchlaufen zu müssen.
Für eine dauerhaft rechtssichere Klärung wird es allerdings notwendig sein, das Verhältnis von Arten- und Klimaschutz auch im Unionsrecht zu aktualisieren. Auch dieser Aspekt findet sich in der Koalitionsvereinbarung wieder.
Ansatzpunkt dafür ist, dass die Erzeugung von erneuerbaren Energien mit der zunehmenden Umstellung der Erzeugungskapazitäten auf sog. grünen Strom im öffentlichen Interesse liegt und der Versorgungssicherheit dient. Der Koalitionsvertrag geht hier so weit, dass bei der Abwägung von Interessen des Naturschutzes auf der einen Seite und des Interesses am Ausbau von Erzeugungskapazitäten durch Errichtung neuer WEA bis zum Erreichen der Klimaneutralität ein befristeter Vorrang für erneuerbare Energien gilt.
Bewertung/Fazit
Das Artenschutzrecht ist im Umbruch. Die jüngste oberverwaltungsgerichtliche Rechtsprechung und vor allem der Koalitionsvertrag zeigen hier neue Wege auf, welche die Errichtung von WEA erleichtern und die Genehmigungsverfahren beschleunigen sollen. Details dafür bleiben auf der einfachgesetzlichen Ebene auszugestalten. Spannend bleibt, in welchem Umfang ggf. das Unionsrecht anzupassen ist.