Newsletter Vergabe Dezember 2022

Angebotsöffnung kann auch von Dritten vorgenommen werden

Die Öffnung von Angeboten muss nach § 55 Absatz 2 Satz 1 VgV gemeinsam von mindestens zwei Vertreter:innen des öffentlichen Auftraggebers durchgeführt werden. Die Vergabekammer Südbayern hatte bisher die Auffassung vertreten, dass es sich hierbei um eine „ureigene Aufgabe“ des Auftraggebers handelt, die nicht delegiert werden kann. Dies wurde nunmehr für den Fall der Durchführung einer e-Vergabe aufgegeben.

Angebotsöffnung nicht delegierbar?

Die Öffnung der Angebote wird bei europaweiten Vergaben von Liefer- und Dienstleistungsaufträgen gem. § 55 Absatz 2 Satz 1 VgV von "mindestens zwei Vertretern des öffentlichen Auftraggebers" durchgeführt. Dies gilt auch für Unterschwellenvergaben bei Anwendbarkeit der UVgO, § 40 Absatz 2 Satz 1 UVgO. Ähnliche Reglungen finden auch für Bauleistungen Anwendung, § 14 Absatz 1 Satz 1 VOB/A 2019 für Unterschwellenvergaben und § 14 EU Absatz 1 Satz 1 VOB/A 2019 für Oberschwellenvergaben: Durch wen die Auftraggeber bei Angebotsöffnung vertreten werden können, regeln die vergaberechtlichen Bestimmungen nicht.

In einer Entscheidung vom 02.01.2018 hatte die Vergabekammer Südbayern zu einem noch in Papier durchgeführten europaweiten Verfahren zur Vergabe von Planungsleistungen die Auffassung vertreten, die Öffnung dürfe nicht ausschließlich von Mitarbeiter:innen eines Ingenieurbüros durchgeführt werden, da die Angebotsöffnung ebenso wie die Wertung ureigene Aufgabe des öffentlichen Auftraggebers sei (Az.  Z3-3-3194-1-47-08/17).

Das OLG Düsseldorf dagegen urteilte am 14.11.2018, Vertreter des Auftraggebers i. S. d. § 55 Absatz 2 Satz 1 VgV könne jede von ihm hierzu ermächtigte Person sein, etwa ein Mitarbeiter oder externer Berater, ebenso ein Rechtsanwalt (Az. Verg 31/18).

Die Vergabekammer Südbayern hatte nunmehr Gelegenheit zu überprüfen, ob die von ihr im Jahr 2018 vertretene Auffassung weiterhin Bestand haben kann.

Keine Manipulationsgefahr bei eVergabe

Im von der Vergabekammer zu prüfenden Vergabeverfahren erfolgte die Öffnung der Angebote durch einen externen Beschaffungsdienstleister (Beschluss vom 16.05.2022, Az. 3194.Z3-3_01-21-62). Darin sah man nunmehr auch in München kein Problem mehr.

Begründet wurde dies damit, dass im Rahmen von elektronischen Vergabeverfahren, die den Anforderungen der §§ 10, 11 VgV entsprechen, die Angebotsöffnung mangels Manipulationsgefahr vom Auftraggeber vollständig auf externe Dienstleister übertragen werden könne. Dies gelte insbesondere mit Blick auf Vergabeplattformen, die für die Angebotsabgabe sowie -öffnung genutzt werden, und bei denen eine weitreichende Protokollierung der Angebotsschritte erfolge. Bei den von § 55 Abs. 2 S. 1 VgV vorgesehenen „zwei Vertretern des öffentlichen Auftraggebers“ könne es sich folglich jeweils auch um vom Auftraggeber eingesetztes externes Personal handeln. Diese Klarstellung und Vereinheitlichung in Bezug auf die o.a. Spruchpraxis des OLG Düsseldorf (aber auch weiterer Vergabekammern) ist zu begrüßen.

Auftraggeber muss „Herr des Verfahrens“ bleiben

Die Vergabekammer Südbayern weist dabei allerdings zutreffend darauf hin, dass der Auftraggeber gleichwohl „Herr des Verfahrens“ sei und sich mit den im Vergabeverfahren anfallenden Entscheidungen befassen müsse. Bei einer Übertragung von Aufgaben im Rahmen des Vergabeverfahrens auf einen externen Dienstleister habe der Auftraggeber daher darauf zu achten, dass seine Entscheidungshoheit nicht zu einem Feigenblatt verkomme: Lediglich „rein verwaltungstechnische Tätigkeiten“ dürften übertragen werden, nicht hingegen Entscheidungen, die den wesentlichen Kern des Vergabeverfahrens betreffen.

Bedeutung der Dokumentation nicht unterschätzen

Zukünftig ist auch im Zuständigkeitsbereich der Vergabekammer Südbayern bei elektronischen Vergaben eine Delegation der Angebotsöffnung vom öffentlichen Auftraggeber auf Dienstleister möglich. Ob die Vergabekammer bei der Durchführung von schriftlichen Verfahren an einem Ausschluss der Delegationsmöglichkeit festhält, ist offen. Die Vergabestellen sind in jedem Fall aber im Rahmen der Dokumentation des Verfahrens gut beraten, ihre eigenen Entscheidungen nachvollziehbar darzustellen und zu begründen. Ein reines „Abnicken“ fremder Entscheidungen ohne eigene Prüfung durch den Auftraggeber erfüllt die vergaberechtlichen Anforderungen nicht.

[GGSC] berät öffentliche Auftraggeber umfassend zur Veröffentlichung von Bekanntmachungen und unterstützt sie bei der Durchführung eines rechtskonformen Vergabeverfahrens.

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