Newsletter Vergabe Februar 2023

Die hohen Hürden einer Dringlichkeitsvergabe

Dringlichkeitsvergaben ermöglichen öffentlichen Auftraggebern kurzfristig eine schnelle, rechtssichere und wirtschaftliche Beschaffung. Insbesondere in Krisenzeiten wie zum Beispiel der COVID-19 Pandemie und dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine bieten die Ausnahmevorschriften zur Dringlichkeitsvergabe einen hilfreichen Lösungsansatz zur Verfahrenserleichterung. Auch die Aufhebung eines Vergabeverfahrens durch eine Vergabekammer kann eine Interimsvergabe in Form einer Dringlichkeitsvergabe erforderlich machen. Um auch hier die wettbewerblichen Grundsätze des Vergabeverfahrens zu berücksichtigen, sind derartige Vergaben nur in sehr engen vom Gesetz definierten Grenzen möglich. Dies veranschaulicht eine aktuelle Entscheidung des OLG Frankfurt a. M.

Die Fortführung einer Beauftragung nach Vertragsende verstößt gegen wettbewerbsrechtliche Grundsätze

Das OLG hatte sich in seiner Entscheidung vom 24.11.2022 (Az.: 11 Verg 5/22) mit der Frage auseinanderzusetzen, ob eine vorübergehende befristete Fortführung der Beauftragung eines Unternehmens mit Sicherheitsdiensten in einem Wohnhaus für Flüchtlinge nach Ablauf des vorangegangenen Vertrages gegen die wettbewerbsrechtlichen Grundsätze des Vergaberechts verstößt.

Die von der Antragsgegnerin mit dem beauftragten Unternehmen geschlossenen Vertragsfortsetzungen ließen sich nach Auffassung des OLG nicht nach § 132 GWB als Auftragsänderungen rechtfertigen. Vielmehr hätten sie durch die Antragsgegnerin in einem transparenten, gesetzlich geregelten Verfahren vergeben werden müssen. § 132 GWB knüpfe an ein bereits bestehendes (abänderungsbedürftiges) Auftragsverhältnis an, wohingegen die verspäteten Fortsetzungsvereinbarungen jeweils neue Vertragsverhältnisse begründen sollen, die rückwirkend unmittelbar nach Ablauf des bisherigen Vertrags beginnen.

Keine Dringlichkeitsvergabe nach § 14 Abs. 4 Nr. 3 VgV

Der Vergabesenat prüfte im Anschluss, ob sich die Fortführung der Beauftragung nach § 14 Abs. 4 Nr. 3 VgV als vergaberechtlich zulässig darstellen könnte. Nach Auffassung des Senats scheiterte dies allerdings bereits an der nach § 14 Abs. 4 Nr. 3 VgV zwingend erforderlichen Unvorhersehbarkeit der dringlichkeitsbegründenden Umstände. Unvorhersehbarkeit ist danach nur dann anzunehmen, wenn der Auftraggeber bei der Vertragsgestaltung alle Möglichkeiten zur Reduzierung der Ungewissheit ausgeschöpft hat und die eventuellen aus der Ungewissheit folgenden Notwendigkeiten zur Vertragsanpassung auch nicht als Option oder Überprüfungsklausel nach § 132 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 GWB abgebildet werden konnten.Nach Auffassung des Senats müssten Vergabestellen stets mögliche Verzögerungen von Folgevergaben, deren konkreten Gründe noch nicht bekannt sein müssen, berücksichtigen. Vorbeugen könne man dem durch die Ausgestaltung von Optionsrechten oder die Konzeption des Vertrages dergestalt, dass dieser nach einer Mindestlaufzeit erst im Zuge des Zuschlags im Folgeverfahren oder durch eine daran anknüpfende Kündigung endet.

Dringlichkeitsvergabe auch bei Versäumnissen der Vergabestelle

Zwar bestätigte der Vergabesenat in seiner Entscheidung noch einmal, dass eine Vergabe im Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb bei für die Allgemeinheit unverzichtbaren Leistungen auch dann möglich ist, wenn die Dringlichkeit auf Versäumnisse der Vergabestelle zurückzuführen ist. Der Aspekt der Zurechenbarkeit und Vorhersehbarkeit trete dann hinter der Notwendigkeit der Kontinuität der Leistungserbringung zurück.

Nach der Rechtsprechung des Senats rechtfertige die besondere Dringlichkeit der (Interims-) Vergabe es aber auch in diesen Fällen nicht ohne weiteres, dass der Wettbewerb vollständig und auf längere Dauer eingeschränkt wird, indem nur ein einziger von mehreren

interessierten Bietern in die Verhandlungen einbezogen wird. Insbesondere, wenn es in einem vorangehenden Verfahren mehrere Wettbewerber gegeben hat, sei der öffentliche Auftraggeber gehalten, zumindest die im Wettbewerb über den Auftrag hervorgetretenen Bieter zu beteiligen. Dies soll auch dann gelten, wenn die Voraussetzungen einer besonderen Dringlichkeit vorliegen.

Bedeutung für die Praxis

Öffentliche Auftraggeber können ungeplant immer wieder in die in Situation geraten, kurzfristig Leistungen beschaffen zu müssen. Derartige Umstände entbinden den öffentlichen Auftraggeber jedoch nicht vollständig von der Pflicht zur Vergabe nach wettbewerblichen Grundsätzen. Auch bei einer sog. Notvergabe sind grundsätzlich mehrere Angebote einzuholen. Ein „Wettbewerb light“ ist zu ermöglichen.

[GGSC] berät regelmäßig öffentliche Auftraggeber bei der Konzeptionierung und Durchführung von Vergabeverfahren. Ferner vertritt [GGSC] öffentliche Auftraggeber bundesweit in Nachprüfungsverfahren und verfügt über langjährige Erfahrung bei Ausgestaltung und Durchführung von Interimsvergaben.

 

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