Einstweilige Verfügung auch für VOB-Nachträge
Das Kammergericht hat den Anwendungsbereich für die Geltendmachung von Nachträgen in einem einstweiligen Verfügungsverfahren ausdifferenziert. Das BGB-Werkvertragsrecht sieht in den §§ 650b bis 650d die Möglichkeit vor, dass Abschlagsforderungen für Nachtragsleistungen im Wege einer einstweiligen Verfügung gerichtlich geltend gemacht werden können.
Der Fall
Der Bauherr schloss mit einem Bauunternehmen drei VOB-Werkverträge über die Erbringung von Spachtel- und Malerarbeiten. Der Bauherr ordnete die Aufbringung eines zusätzlichen tragfähigen Haftgrundes an, nachdem das Bauunternehmen Bedenken angemeldet hatte. Das Bauunternehmen bringt diesen auf und macht deshalb und wegen anderer Nachträge mit einer Abschlagsrechnung 80 % der hierfür errechneten Mehrvergütung geltend. Die restlichen Arbeiten werden fertiggestellt, abgenommen und schlussabgerechnet.
Klarstellungen des Kammergerichts
- Das Kammergericht stellte in seinem Urteil vom 02.03.2021 (21 U 1098/20) zunächst klar, dass die Regelungen zum Anordnungsrecht des Bestellers und der einstweiligen Verfügung in den §§ 650b bis 650d BGB als Gesetzesrecht auch für Bauverträge gilt, in denen die VOB vereinbart wurde. Denn die Regelungen in der VOB/B zu Leistungsänderungen und Vergütungsanpassungen in den §§ 1 Abs. 3, 4 und 2 Abs. 5 bis 7 VOB/B stellen lediglich vertragliche Ausgestaltungen der gesetzlichen Regelungen in den §§ 650b und 650c BGB dar.
- Typischerweise muss für den Erlass einer einstweiligen Verfügung „Dringlichkeit“ bestehen. Dringlich sind aber nach Klarstellung des Kammergerichts auch einstweilige Zahlungen an ein Bauunternehmen. Die Dringlichkeit entfällt selbst dann nicht, wenn das Unternehmen seine Leistungen bereits abgeschlossen hat und Schlussrechnungsreife eingetreten ist.
- Gemäß § 650c Abs. 2 BGB kann das Unternehmen zur Berechnung der Vergütung für den Nachtrag auf die Ansätze in einer vereinbarungsgemäß hinterlegten Urkalkulation zurückgreifen. Das Kammergericht stellt jedoch klar, dass in diesem Zusammenhang nur zugunsten des Unternehmens vermutet wird, dass die in einer Urkalkulation enthaltenen Rechnungsansätze auch den tatsächlich erforderlichen Kosten entsprechen. Auf die Mehrvergütung als solche, die das Unternehmen als Endergebnis der Preisfortschreibung unter Verwendung der Urkalkulation ermittelt hat (also den Rechenweg), erstreckt sich eine solche Richtigkeitsvermutung jedoch nicht, selbst wenn sich man das aus dem bloßen Gesetzeswortlaut so annehmen könnte.
- § 650c Abs. 3 BGB sieht vor, dass das Unternehmen bei der Berechnung von Abschlagszahlungen 80 % einer in einem Angebot genannten Mehrvergütung ansetzen kann, wenn sich die Parteien nicht über die Höhe geeinigt haben oder keine anderslautende gerichtliche Entscheidung ergeht. Hierzu hat das Kammergericht deutlich gemacht, dass diese Regelung keine gesetzliche Vermutung dahingehend beinhaltet, wonach 80 % der vom Unternehmen wegen einer Leistungsänderung beanspruchten Mehrvergütung in einem gerichtlichen Verfahren als zutreffend ermittelt gilt. Genau dies wird in einem gerichtlichen Verfahren nämlich erst geprüft.
- Ein Zahlungsanspruch auch bei einer Mehrvergütung nach § 650c Abs. 3 BGB wird nicht durch die berechtigte Abschlagsforderung bestimmt, sondern durch die Höhe des positiven Saldos zwischen der berechtigten Gesamtvergütung und den bisher geleisteten Zahlungen. Trotz der gesetzlichen Erleichterungen durch die Vermutungswirkungen muss ein Unternehmen immer Umfang und Mangelfreiheit der Leistung beweisen.
Folgerungen für die Praxis
Das Kammergericht hat hinsichtlich formaler Anforderungen für die Geltendmachung von Nachtragsforderungen in einem einsteiligen Verfügungsverfahren für einige Klarstellungen gesorgt, welche die prozessuale Geltendmachung eines Anspruchs erleichtern. Soweit, so gut.
Inhaltlich führt aber auch in einem solchen Verfahren kein Weg daran vorbei, dass das Bauunternehmen nachweisen muss, dass der Mehrvergütungsanspruch dem Grunde und der konkreten Höhe nach besteht.
Ob sich einstweilige Verfügungen bei Nachtragsstreitigkeiten durchsetzen werden, bleibt abzuwarten. Bisher ist das nicht der Fall. Wenn die formalen Hürden jedoch nicht allzu hoch sind, kann ein solches Verfahren jedenfalls genutzt werden, um zeitnah mit dem Bauherrn zu einer Einigung zu kommen.