Newsletter Energie März 2025

EuGH entzieht Kundenanlagen i. S. d. EnWG den Boden

Mit seiner Entscheidung vom 28.11.2024 hat der Europäische Gerichtshof entschieden, dass deutsche Regelungen zur Infrastruktur für die Kategorie der Kundenanlagen nicht mit dem Unionsrecht im Einklang stehen (EuGH, Az. C – 293/23).

Der Begriff der Kundenanlagen ist in Abgrenzung zum Begriff des öffentlichen Netzes zur allgemeinen Versorgung im Wesentlichen durch die Kasuistik der nationalen Rechtsprechung geprägt worden (vgl. a. § 3 Nr. 24a EnWG). Der Abgrenzungsfrage kommt deswegen große Bedeutung zu, weil Betreiber von Kundenanlagen gegenüber Netzbetreibern von deutlich weniger Regulierung und damit im Ergebnis geringeren Kosten profitieren.

BGH-Vorlage führt zur Erosion des Kundenanlagebegriffs

Grundlage für die Entscheidung des EuGH war eine Vorlage des BGH zur Einordnung zweier Wohnblockeinheiten. Die eine bestand aus 4 Wohnblöcken mit 96 Wohneinheiten, die andere aus 6 Wohnblocken mit 160 Wohneinheiten. Die Wohnblöcke wurden mit 288 MWh/a bzw. 480 MWh/a dezentral beliefert und profitierten von dieser Stromerzeugung aufgrund der für den Bereich Kundenanlagen deutlich geringeren netzseitigen Abgaben. Mit dieser Dimensionierung waren die Anlagen bereits an der Grenze dessen, was der BGH vor der neuen BGH-Entscheidung noch als Kundenanlage akzeptierte.

Der EuGH führt nunmehr in seinen Entscheidungsgründen aus, dass keine Ausnahmen vom „Verteilernetz“ i. S. d. Richtlinie 2019/944 nationalstaatlich auf ein zusätzliches, neben dem Unionsrecht bestehendes Kriterium gestützt werden dürfen (vgl. EuGH, Urt. v. 28.11.2024, Az. C – 293/23, Rn. 61). Neben der Spannungsebene und der Kategorie von Kunden, an die die Elektrizität weitergeleitet wird, dürfen keine zusätzlichen Kriterien herangezogen werden. Ansonsten könne die autonome und einheitliche Auslegung von Art. 2 Nr. 28 RL 2019/944 beeinträchtigt werden (EuGH, a. a. O., Rn. 61).

Ausnahmen eng begrenzt und unerheblich

Ausnahmen vom Begriff des Verteilnetzbetreibers i. S. d. der RL 2019/944 führten zu einer Umgehung, die die praktische Wirksamkeit der Begriffe beeinträchtige (EuGH, a. a. O., Rn. 67).

Lediglich bei den im Rahmen der Elektrizitätsbinnenmarkt-RiLi selbst vorgesehenen Sonderfällen, wie bspw. sog. Bürgerenergiegemeinschaften, also lokalen und regionalen Zusammenschlüssen von Bürgern, die gemeinsam erneuerbare Energieprojekte planen, finanzieren und betreiben oder bei kleinen isolierten Netzwerken sieht der EuGH die Möglichkeit von Ausnahmen (EuGH, a. a. O., Rn. 7 und 20).

Diese Ausnahmen haben in der Praxis aber nahezu keine Relevanz.

Unangenehme Konsequenzen – Handlungsbedarf

Für einen Großteil der bisher betriebenen Kundenanlagen droht nun die Einordnung als Verteilernetz. Dies hat zur Folge, dass den Betreiber umfassende Pflichten treffen, von den Melde- und Publikationspflichten nach §§ 13ff., der Erhebung eines Netzentgeltes bis hin zur Genehmigungspflicht nach §4 I EnWG.

Gerade die Genehmigungspflicht kann die bisherigen Betreiber von Kundenanlagen zukünftig vor große Probleme stellen. Denn sie können meist gar nicht die für die Erteilung einer Genehmigung (§ 4 II EnWG) erforderlichen personellen, technischen und wirtschaftlichen Notwendigkeiten für den Netzbetrieb gewährleisten. Nach § 95 I Nr. 1 EnWG droht dann eine Ordnungswidrigkeit vor, welche nach § 95 II S. 1 mit einer Geldbuße bis zu 100.000 Euro geahndet werden kann.

Es zeichnet sich bereits ab, dass aufgrund der EUGH-Entscheidung notwendige strukturelle Änderungen in vielen Fällen nicht in einer Geschwindigkeit umgesetzt werden, dass relevante Risiken ausgeschlossen werden können. Der Schrei nach dem Gesetzgeber verhallte lange Zeit im Wahlkampf.

Die Preis- und Kostenstrukturen führen infolge der geänderten Einordnung von Kundenanlagen dazu, dass Geschäftsmodelle überdacht und jedenfalls angepasst werden müssen. Verträge kommen auf den Prüfstand und es wird über Alternativen wie geschlossene Verteilernetze bis hin zu Verkäufen von Standorten nachgedacht.

Geschlossenes Verteilernetz als Rettungsanker?

In vielen Fällen werden Kundenanlagen nach der neuen EuGH-Rechtsprechung als geschlossenes Verteilernetz (vgl. § 110 EnWG) weiter betrieben werden müssen. Diese Netze müssen Netzentgelte bilden, haben aber bereits nach geltendem Recht eine Reihe von Erleichterungen, wie etwa keine Entflechtung (§ 7 EnWG), Veröffentlichung von Anschlussbedingungen (§ 19 EnWG), Anreizregulierung (§ 21a EnWG) Netzentgeltgenehmigung (§ 23a EnWG) u.a. Gleichwohl muss der Netzbetrieb auch in diesen Fällen genehmigt werden (vgl. § 4 EnWG). Im Übrigen scheitern die erleichterten Voraussetzungen des Netzbetriebs an § 110 Abs. 2 S. 3 EnWG, wenn Haushaltskunden versorgt werden.

Problematische Fallgruppen

Besonders misslich an der EUGH-Entscheidung ist, dass keine Auswege aufgrund von Verhältnismäßigkeitserwägungen (etwa Bagatellgrenzen oder Härtefälle) aufgezeigt werden. Es ist jedoch kaum denkbar, dass künftig sämtliche Verteilnetzstrukturen bis hin zum Hausanschluss öffentliche Netze sein sollen. Dies beträfe dann streng genommen sogar Ladesäulen. Es bleibt daher zu hoffen, dass die grundsätzlich national zu beachtende Entscheidung zukünftig noch relativiert wird. Dies ist auch deshalb bedeutsam, weil bestimmte Strombelieferungsmodelle wie etwa der Mieterstrom an die Existenz nicht regulierter Kundenanlagen angelehnt sind. Relativ sicher erscheinen nach der EuGH-Entscheidung noch Einspeisestrukturen und Eigenversorgungskonzepte.

Fazit

Die neue EuGH-Entscheidung stellt alle größeren Kundenanlagen mit Versorgungscharakter auf den Prüfstand. Die verantwortlichen Betreiber sollten schnellstens prüfen wie sie rechtlichen und wirtschaftlichen Risiken begegnen und einen rechtskonformen Betrieb der (ehemaligen) Kundenanlage sicherstellen können.

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