Gilt der HOAI-Mindestsatz in bestimmten Fällen noch? Stand des EuGH-Verfahrens
Bis Ende des Jahres ist mit einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs in einem zweiten Verfahren zur HOAI zu rechnen. Diese Entscheidung ist wichtig für die Frage, ob in „Altfällen“ mit nichtstaatlichen Auftraggebern noch das Mindestsatzgebot der HOAI fortgilt.
Das Problem
Bekanntlich hat der EuGH im Jahr 2019 entschieden, dass das Mindestsatzgebot in § 7 HOAI gegen EU-Recht verstößt. Dies hat zur Überarbeitung der HOAI geführt; seit 01.01.2021 gilt eine HOAI, die preislich nur noch Empfehlungscharakter hat. Aber was heißt das für die „Altfälle“? Sprich: Was gilt, wenn in einem vor 2021 abgeschlossenen Vertrag ein HOAI-widriges Honorar vereinbart wurde? Darf der Architekt / Ingenieur dann weiterhin den Mindestsatz nachberechnen?
Darüber ist seit dem Jahr 2019 wilder Streit entbrannt. Dieser Streit hat für viele Planungsbüros erhebliche wirtschaftliche Bedeutung, weil die Nachberechnung des Mindestsatzes häufig hohe sechsstellige Beträge ergeben kann. Es gibt hierzu eine ganze Reihe komplett konträrer Gerichtsentscheidungen mehrerer Oberlandesgerichte, zu den unterschiedlichsten Fallkonstellationen. Einige Gerichte haben sich auf den Standpunkt gestellt, das EuGH-Urteil habe keine direkte Wirkung, so dass der Mindestsatz solange fortgelte, bis der deutsche Verordnungsgeber die HOAI anpasst. Bei Altfällen dürften Architekten also unverändert den Mindestsatz verlangen. Andere Gerichte wiederum waren der Auffassung, man müsse dem Willen des EuGH sofort Geltung verschaffen; Gerichte als Teil der Staatsorganisation hätten deshalb ab sofort nicht mehr das Recht, § 7 HOAI anzuwenden. Die Folge wäre, dass allein die vertraglichen Honorarvereinbarungen maßgeblich wären und nicht das Mindestsatzgebot. Im Mai 2020 hat sich der Bundesgerichtshof damit befasst. Er sah sich nicht in der Lage, diese Frage allein zu entscheiden und hat den Fall daher dem EuGH vorgestellt und ihn gefragt, wie er dies sehe.
Stand des Verfahrens
Im Juli 2021 hat der Generalanwalt beim EuGH seine sog. Schlussanträge eingereicht. Dort hat er sich eindeutig auf den Standpunkt gestellt, das Urteil des EuGH aus dem Jahr 2019 habe sofortige Wirkung auch für Altfälle. Folglich dürften deutsche Gerichte schon seit Juli 2019 das Mindestsatzgebot nicht mehr anwenden.
Rein statistisch gibt es die Erfahrung, dass der EuGH in rund 90% aller Fälle den Anträgen des Generalanwalts folgt. Daher besteht die hohe Wahrscheinlichkeit, dass bis Ende 2021 eine Entscheidung ergeht, wonach kein deutsches Gericht mehr das Recht haben soll, das Mindestsatzgebot anzuwenden. Das kann für dutzende, wenn nicht hunderte in Deutschland anhängige Gerichtsverfahren bedeuten, dass sich eine bis dahin sicher geglaubte Rechtsposition von Architekten in Luft auflöst.
Folgerungen für die Praxis
Für Büros, die Verträge mit öffentlichen Auftraggebern haben, ist es ohnehin schon seit 2019 nicht mehr zu empfehlen, sich auf vermeintliche oder tatsächliche Mindestsatzunterschreitungen zu berufen. Bei Verträgen mit öffentliche Auftraggebern gibt es auch unter den Gerichten bereits jetzt eine klare Mehrheit, die sich gegen die Anwendung des Mindestsatzgebots ausgesprochen haben. Bei Verträgen mit nichtstaatlichen privaten Auftraggebern hängt alles von der jetzt zu erwartenden EuGH-Entscheidung ab. Mit hoher Wahrscheinlichkeit wird sich dort aber dieselbe Rechtslage ergeben.
Das bedeutet, letztlich sowohl für Altfälle, als auch und erst recht für künftige Fälle: Wenn sich ein Projekt nicht (mehr) rechnet, wird der Rekurs auf den Mindestsatz keine Lösung mehr sein. Die Entwicklung der letzten Jahre zeigt, dass stattdessen zwei andere Themen an Bedeutung gewonnen haben: Zum einen die genauere Betrachtung, ob es vergütungspflichtige Umplanungen oder Wiederholungsleistungen gegeben hat; zum anderen, ob sich aus unverschuldeten Projektverlängerungen Zusatzhonorar ableiten lässt.
Beide Wege sind anspruchsvoll, führen aber bei entsprechender Sorgfalt nach unseren Erfahrungen ebenfalls zu angemessenen Honorarlösungen.