Zur Reichweite der Überwachungspflichten des Architekten
Die Frage, wie weit die Sorgfalts- und Überwachungspflichten in der LP 8 reichen, beschäftigt immer wieder die Gerichte und kann für Architekten schmerzhafte Folgen haben. Wir fassen für Sie die jüngeren Entwicklungen in der Rechtsprechung hier zusammen.
„Sensible Gewerke“
Besonders streng sind die Gerichte dort, wo es um sog. „sensible Gewerke“ geht; etwas vereinfacht gesagt: überall dort, wo es nass werden kann oder wo Gefahren für Menschen entstehen können.
Bei solchen Gewerken verlangen die Gerichte von den Planern den Nachweis, dass Sie quasi lückenlos auf der Baustelle waren; das kommt einer Beweislastumkehr nah. So hat das OLG München am 26.05.2020 entschieden, dass Dachabdichtungsarbeiten eng und intensiv zu überwachen seien.
Durch eine mangelhafte Abdichtung im Dachstuhl kam es zu Schimmelschäden; der gesamte Dachstuhl musste erneuert werden. Das Gericht verurteilte den Architekten zum Ersatz der hierfür erforderlichen Kosten.
Auch in einer Entscheidung des OLG München vom 20.01.2021 ging es um Feuchtigkeitsschäden, hier hervorgerufen durch die unsachgemäße Verschweißung von Abdichtungsbahnen auf einer Dachterrasse. Auch hier lautete die Argumentation, dass es sich dabei um besonders gefahrträchtige Arbeiten handele, die besonders intensiv zu überwachen seien.
Ebenfalls höchst risikoreich für Nutzer eines Wohngebäudes ist die Konzentration von Kohlenmonoxid in den Räumen. Daher hat der Architekt in jedem Fall Arbeiten an Kaminzügen zu überwachen. Tut er das nicht, verstößt er gegen seine Verkehrssicherungspflicht und haftet für eine Kohlenmonoxidvergiftung, welche Bewohner aufgrund des Verschlusses eines provisorischen Kamins erleiden (OLG Köln, 01.07.2021).
Muss man handwerkliche Selbstverständlichkeiten überwachen?
Um grundlegende handwerkliche Selbstverständlichkeiten handelt es sich beim Zusammenstecken von Kanalgrundrohren. Dennoch darf sich der Architekt nach Ansicht des OLG Hamm (16.03.2021) nicht darauf verlassen, dass der jeweilige Handwerker diese schon fachgerecht ausführen werde, wenn die Kanalgrundrohre der Herstellung einer Belüftungsanlage dienen und damit Relevanz für die Gesundheit der Gebäudenutzer haben.
Gesteigerte Sorgfaltspflichten bei Planungsänderungen in der Bauphase
In einem Urteil des OLG Frankfurt vom 05.07.2021 ging es um eine versäumte Anpassung der Ausführungsplanung. Der Bauherr erweiterte sein Vorhaben um einen Trinkbrunnen; der Fachplaner plante einen in der ursprünglichen Ausführungsplanung nicht enthaltenen Bodeneinlauf; dies wurde aber später nicht baulich umgesetzt. Daher entstanden Nässe im Boden und Schimmelbildung an den Wänden. Das Gericht verurteilte den Architekten zu Schadensersatz für die nachträgliche Abdichtung der Bodenfläche. Dieser hätte die Fachleistungen der anderen Planer (hier: TGA) koordinieren und in seine eigene Planung intergieren müssen.
Prüfung von angelieferten Baustoffen
Die Überprüfung von Baustoffen auf Materialfehler gehört ebenfalls zum Pflichtenprogramm eines Architekten. Zwar ist es ihm nicht zumutbar und auch nicht möglich, sämtliche bei einem Bauvorhaben verwendete Materialien im Einzelnen zu kontrollieren. Allerdings ist er zu stichprobenartigen Kontrollen verpflichtet, die umso enger ausfallen, je gravierender sich ein etwaiger Materialmangel auswirken kann. Dies ist zum Beispiel der Fall bei der Herstellung einer „Weißen Wanne“. Dort hat sich der Architekt zu vergewissern, dass tatsächlich das korrekte Dämmmaterial verbaut wird (OLG Stuttgart, 09.07.2019). Gleiches gilt für die Herstellung des Fermenters einer Biogasanlage. Da sich eine fehlerhafte Beschichtung der Bauelemente später nur mit sehr großem Aufwand beheben lässt, muss der Bauleiter diese zumindest einer Sichtkontrolle unterziehen (OLG Naumburg, Urteil vom 26.03.2019).
Einmessung bei Baubeginn
Schließlich sollte auch die Einmessung der Gebäudehöhe als besonders schadensträchtig im Auge behalten werden. Fehler hierbei können im schlimmsten Fall dazu führen, dass der gesamte Rohbau zurückgebaut und neu errichtet werden muss. Kontrolliert der mit der Objektüberwachung beauftragte Architekt diese Arbeiten nicht ausreichend, haftet er neben dem ausführenden Unternehmer und dem Vermessungsingenieur für die erforderlichen Rück- und Neubaumaßnahmen des Rohbaus (OLG München 17.08.2020).
Praktische Folgerungen
Es ist klar, dass Architekten und Ingenieure einerseits ihre Augen nicht überall haben können. Andererseits laufen bei ihnen alle Fäden der Bauausführung zusammen, da sie nach den Regelungen zur LP 8 in der HOAI die Gesamtverantwortung für den Bauablauf tragen.
In diesem Spannungsfeld zwischen umfassender Verantwortung und der Unmöglichkeit einer vollständigen Bauüberwachung „auf Schritt und Tritt“ ist die Abgrenzung, wie weit die Pflichten des Architekten reichen, im Einzelfall sehr schwierig. Insgesamt ist die Rechtsprechung jedoch sehr streng mit den Bauüberwachern.
Wegen dieser oft überspannten Anforderungen ist ganz besondere Sorgfalt bei gefahr- und damit kostenträchtigen Arbeitsschritten im Bauablauf geboten. Insbesondere ist es ratsam, entsprechende Kontrollen ausreichend zu dokumentieren, um im Streitfall Beweisprobleme zu vermeiden. Der verbrauchte Satz „Wer schreibt, der bleibt“, hat hier nach wie vor größte Bedeutung: Je genauer die einzelnen Arbeitsschritte der Bauüberwachung sauber dokumentiert sind, umso eher gelingt der Beleg, dass ein Baumangel jedenfalls nicht durch unzureichende Überwachung entstanden ist.
Pflichten im Zusammenhang mit Fördermitteln
Fehler im Zusammenhang mit der Fördermittelvergabe haben für Bauherren im Normalfall gravierende finanzielle Auswirkungen. Wir stellen Ihnen daher zwei jüngere Entscheidungen zu diesem Thema vor.
Verzicht auf Fachlosvergabe nur mit triftigem Grund
Die Vergabe eines Bauvorhabens an einen Generalunternehmer erscheint für den Bauherrn auf den ersten Blick attraktiv: Er erspart sich die Koordinierung verschiedener Einzelunternehmer und erhöht dadurch seine Chancen, geplante Fertigstellungstermine seines Vorhabens einhalten zu können. Allerdings sieht das Vergaberecht die Vergabe in Fachlosen zur Sicherung des Wettbewerbs als Standardfall vor, von dem der Auftraggeber nur in begründeten Ausnahmefällen
abweichen darf.
Das OVG Nordrhein-Westfalen, 16.01.2017, entschied, dass der Widerruf eines Bewilligungsbescheides zulässig ist, wenn der Auftraggeber keine überwiegenden Gründe für eine Gesamtvergabe darlegen kann. Hier hatte der Auftraggeber, der im Fördermittelbescheid zur Einhaltung u. a. der VOB/A verpflichtet wurde, auf eine Auftragsvergabe nach Fachlosen verzichtet. Dies begründete er mit der leichteren Koordinierung von Nachunternehmern durch den Generalunternehmer und die damit resultierende Erwartung eines kürzeren Bauzeitfensters.
Das OVG folgte dieser Argumentation jedoch nicht, da dies letztlich Gründe seien, die für jede Generalunternehmervergabe gelten und daher letztlich immer für diese Vergabeart angeführt werden könnten. Stattdessen hätte der Auftraggeber im Einzelnen substantiiert darlegen müssen, warum gerade in seinem Fall die Generalvergabe einer Vergabe nach Fachlosen getrennt vorzuziehen gewesen wäre. Dieser Nachweis gelang dem Bauherrn nicht, weshalb das Gericht eine Rückforderung von 100 % der Fördermittel für rechtmäßig hielt.
In einer anderen Entscheidung befasste sich das OLG Celle, 30.06.2021, mit den Pflichten des Bauherrn, wenn dieser die Begleitung eines Fördermittelantrags vereinbart. Im entschiedenen Fall hatte der Bauherr neben einem Architekten auch einen Energieberater beauftragt, der die Fördermittelvergabe begleiten und darin den Architekten unterstützen sollte. Der Energieberater übergab dem Architekten das Antragsformular, das zur Beantragung der Fördermittel vorgesehen war. In diesem fand sich der Hinweis, dass beim Ausfüllen die sog. KMU-Empfehlung der EU-Kommission zu beachten ist. Diese macht u.a. bestimmte Vorgaben hinsichtlich der Berechnung der Anzahl der Beschäftigten. Der Architekt überreichte im Anschluss das zum Teil ausgefüllte Formular an die Energieberater mit dem Hinweis, er habe dieses soweit ausgefüllt, als es ihm möglich gewesen sei. Jedoch entsprach die Anzahl der Mitarbeiter, die der Architekt angegeben hatte, nicht den Berechnungsregelungen der KMU-Empfehlung.
In der Folge entgingen dem Bauherrn Fördermittel im Umfang von 14.000,00 €. Das Gericht erteilte dem Bauherrn, der den Energieberater auf Schadensersatzanspruch wegen der entgangenen Fördermittel in Anspruch nehmen wollte, eine Absage. Letzterer habe nur die Begleitung der Fördermittelbeantragung geschuldet, nicht jedoch die Ermittlung der relevanten Daten. Er habe sich auf die Angaben des Architekten – dessen Verschulden sich der Bauherr zurechnen lassen muss – verlassen dürfen. Insbesondere, da der Architekt angab, das Formular ausgefüllt zu haben, soweit ihm dies möglich gewesen sei, hatte der Energieberater keinen Anlass, diese Angaben zu hinterfragen.
Praktische Folgerungen
Aufgrund der strengen Vorgaben der Rechtsprechung sind Vergabeverfahren generell fehleranfällig. Auftraggeber sollten bei der Auftragsvergabe daher darauf achten, keine „Alibi-Argumente“ zur Begründung von Verfahrensabweichungen vorzubringen. Gerade bei der Vergabe von Aufträgen an Generalunternehmer ist im Einzelnen konkret darzulegen, weshalb diese für das betreffende Projekt unbedingt erforderlich ist. Gründe hierfür können z. B. eine besondere Komplexität des Bauvorhabens sein, dessen Umsetzung durch die Beauftragung verschiedener Einzelunternehmen übermäßig erschwert würde. Die bloße „Bequemlichkeit“ für den Auftraggeber, sich lediglich mit einem Ansprechpartner und einem Vertragspartner auseinandersetzen zu müssen, reicht hingegen nicht aus.
Lässt sich der Auftraggeber bei der Beantragung von Fördermitteln bzw. im sonstigen Vergabeverfahren beraten, ist darauf zu achten, ob lediglich die Begleitung oder aber die Durchführung der Vergabe Vertragsgegenstand ist. Bei einer Begleitung des Verfahrens bleibt der Auftraggeber stets selbst dafür verantwortlich, die für das Verfahren relevanten Angaben beizusteuern sowie ggf. deren Richtigkeit zu überprüfen. Bei Zweifeln darüber, ob alle Daten korrekt ermittelt wurden, bietet sich in jedem Fall die Abstimmung und Nachfrage mit dem die Vergabe begleitenden Berater ein.
Co-Autor: [GGSC] Rechtsanwalt Christian Steinhäuser