Beauftragung nach Geheimwettbewerb: Welches Gewicht muss die Entscheidung des Preisgerichts haben?
Wer einen Architektenwettbewerb gewinnt, muss im anschließenden Vergabeverfahren bevorzugt behandelt werden. In der Praxis geschieht dies dadurch, dass der Sieger im Vergabeverfahren einen angemessenen Punktevorsprung erhält. Welche Anforderungen Auftraggeber hierbei zu beachten haben, ist Gegenstand zweier aktueller Entscheidungen.
Problem
Im Planungswettbewerb wird ausschließlich die Qualität des Entwurfs bewertet, also vor allem die gestalterische Lösung der Wettbewerbsaufgabe. Rückschlüsse auf sonstige qualitative Aspekte – Arbeitsweise der Planungsbüros, Projektorganisation, fachliche Erfahrung usw. – sind durch den Wettbewerb nicht möglich. Auftraggeber sollen und dürfen im Anschluss an einen Planungswettbewerb daher mit den Preisträgern verhandeln und bei der Angebotswertung weitere qualitative sowie wirtschaftliche Kriterien berücksichtigen. Die Auftragsvergabe erfolgt im Wettbewerb. Damit der Planungswettbewerb dadurch nicht zu einem Muster ohne Wert wird, schreibt § 8 Abs. 2 der Richtlinien für Planungswettbewerbe (RPW 2013) vor, dass „in der Regel“ der Gewinner zu beauftragen ist. Um diese Regel-Beauftragung zu gewährleisten, muss das Wettbewerbsergebnis bei der Gewichtung der Zuschlagskriterien angemessen berücksichtigt werden. Dieses Spannungsverhältnis richtig aufzulösen – Wettbewerbsvergabe einerseits und Privilegierung des ersten Preisträgers anderseits – ist schwierig und regelmäßig Gegenstand von Nachprüfungsverfahren.
Bisherige Rechtsprechung
In einer der ersten Entscheidungen zu § 8 Abs. 2 RPW 2013 befand die VK Südbayern noch, dass eine Gewichtung des Wettbewerbsergebnisses im Verhandlungsverfahren mit 35 % bei einem Punktevorsprung von 8,75 % der Gesamtpunktzahl angemessen sei. Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main sah dies anders und urteilte im Jahr 2017, dass eine Gewichtung von 30 % bei einem gleichzeitigen Punktevorsprung von weniger als 10 % der Gesamtpunktzahl (im konkreten Fall waren es sogar nur 6 %) gegen § 8 Abs. 2 RPW verstößt.
Ein Schritt vor …
Die VK Südbayern hat in einer aktuellen Entscheidung (Beschluss vom 03.07.2019, Z3-3-3194-1-09-03/19) die Rechtsprechung des OLG Frankfurt fortgeführt. In dem entschiedenen Fall hatte der Sieger des Wettbewerbs 500 von 1.000 Punkten erhalten, das zweitplatzierte Büro 400 von 1.000 Punkten. Diese Gewichtung des Wettbewerbsergebnisses verstößt nach Auffassung der Vergabekammer gegen das Prinzip der Regel-Beauftragung, weil ein Punktevorsprung von nur 10 % der Gesamtpunktzahl auch bei regulärem Verlauf eines Verhandlungsverfahrens leicht aufgeholt werden könne. Hatte das OLG Frankfurt noch einen Punktvorsprung von weniger als 10 % kritisiert, geht die VK Südbayern einen Schritt weiter: auch 10 % sind zu wenig.
… und einer zurück
In einem von [GGSC] vor der VK Hessen verhandelten Fall war u.a. die Frage zu klären, ob ein Punktevorsprung von 12 % der Gesamtpunktzahl den Anforderungen der RPW entspricht. Die Kammer bejahte dies (Beschluss vom 21.01.2020, 69d VK 17/2019) und stellt sich hierbei ausdrücklich gegen die Entscheidung der VK Südbayern. Nach Auffassung der VK Hessen sind nur Punktevorsprünge von weniger als 10 % rechtswidrig, 10 % oder mehr jedoch grundsätzlich RPW-konform. Das OLG Frankfurt am Main hat die Entscheidung mit Beschluss vom 23.06.2020 bestätigt (11 Verg 2/20).
Folgerungen für die Praxis
Die uneinheitliche Entscheidungspraxis war problematisch, und zwar für Auftraggeber und für Architekten gleichermaßen. Mit der jüngsten Entscheidung des OLG Frankfurt/Main hat sich nun erstmals ein oberstes Gericht auf einen festen Prozentsatz festgelegt, ab dem ein ausreichender Punktevorsprung zu den übrigen Preisträgern besteht.
Eine horizontale Gewichtung des Wettbewerbsergebnisses mit mindestens 50 % bei einem Punktevorsprung von 10 % der Gesamtpunktzahl ist nach Auffassung des OLG RPW-konform. Hieran wird man sich in der Praxis orientieren können.