Newsletter Vergabe Oktober 2020

Die Folgen einer fehlenden Zustimmungserklärung des Bieters zur Bindefristverlängerung

Fordert der öffentliche Auftraggeber im laufenden Vergabeverfahren die Bieter zur Bestätigung einer beabsichtigten Bindefristverlängerung auf, steht es den Bietern frei, ihre Zustimmung zu erteilen oder die Bindung an ihre abgegebenen Angebote erlöschen zu lassen. Gibt ein Bieter aber trotz Aufforderung keine Erklärung ab, sehen sich die Auftraggeber mit vergaberechtlichen, zivilrechtlichen sowie haushaltsrechtlichen Fragen konfrontiert.

Verlängerung der Bindefrist stillschweigend durch schlüssiges Verhalten

Das OLG Celle hat kürzlich in seinem Beschluss (vom 30.01.2020 – 13 Verg 14/19) klargestellt, dass eine Bestätigung der Bindefristverlängerung durch den Bieter nicht zwingend einer ausdrücklichen Erklärung bedarf.

Eine solche Zustimmung kann auch stillschweigend durch schlüssiges Verhalten erteilt werden, z.B. durch Nachreichung nachgeforderter Unterlagen oder durch Aufrechterhaltung des Angebots.

Eine stillschweigende Bindefristverlängerung kommt hingegen nicht mehr in Betracht, wenn die ursprüngliche Bindefrist bereits abgelaufen ist. Gleiches gilt, wenn der Auftraggeber um ausdrückliche schriftliche Bestätigung der Bindefristverlängerung gebeten hat.

Zivilrechtliche Folgen der abgelaufenen Bindefrist

Liegt nach Ablauf der Bindefrist tatsächlich keine Zustimmung des Bieters vor, erlischt dessen Angebot. Erteilt die Vergabestelle anschließend dennoch den Zuschlag, ist dieser als neues Angebot anzusehen, welches der Bieter bei fortbestehendem Interesse am Auftrag annehmen kann, aber nicht annehmen muss.

Ob der Vertrag zwischen den Parteien trotz Verzögerungen der Zuschlagserteilung und ggf. des Leistungsbeginns zu den ursprünglichen Konditionen zustande kommen soll, ist durch Auslegung zu ermitteln. So kann das neue Angebot des Auftraggebers an den Bieter einen Preisanpassungsvorbehalt beinhalten. Genauso gut kann der Auftraggeber klar und eindeutig zum Ausdruck bringen, dass die unveränderten Angebotsbedingungen (insbesondere Preise) auch für den nach hinten verschobenen Leistungszeitraum gelten sollen. Kommt der Vertrag zu den ursprünglichen Konditionen zustande, kann sich dennoch ein Mehrvergütungsanspruch des Bieters wegen Verzögerung des Leistungsbeginns je nach Umständen des Einzelfalls aus der VOB/B oder dem BGB ergeben.

Vergaberechtliche Folgen der abgelaufenen Bindefrist

Ein unter zivilrechtlichen Gesichtspunkten erloschenes Angebot führt nicht dazu, dass das Angebot auch vergaberechtlich hinfällig ist. Der Auftraggeber ist nicht daran gehindert, den Zuschlag auf ein Angebot zu erteilen, obwohl die Bindefrist abgelaufen ist.

Voraussetzung ist, dass zum einen die Vergabeunterlagen einen Ausschluss verfristeter Angebote nicht vorschreiben, dass zum anderen das fragliche Angebot seinem Inhalt nach unverändert ist und dass ferner Rechte von Mitbewerbern, insbesondere Gleichbehandlungsrechte, nicht beeinträchtigt sein können.

Das OLG Celle sieht den Gleichbehandlungs- und Wettbewerbsgrundsatz bei einer Verlängerung der Bindefrist gewahrt, sofern allen noch in Frage kommenden Bietern die Möglichkeit eröffnet wird, weiterhin am Vergabeverfahren teilzunehmen. Gleiches gilt auch für den Fall, dass ein Bieter seine Zustimmung zur Bindefristverlängerung nicht erteilt hat, sofern der Zuschlag auf dessen Angebot zu den Konditionen des ursprünglichen Angebots erfolgt.

Ablauf der Bindefrist fällt nicht unter die in § 57 VgV normierten Ausschlussgründe

Insbesondere lässt sich der Ablauf der Bindefrist nicht unter einen der in § 57 Abs. 1 VgV normierten Ausschlussgründe fassen.

Zwar stellt die eigenmächtige Verkürzung der in den Vergabeunterlagen vorgegebenen Bindefrist durch einen Bieter bei Abgabe seines Angebots eine Änderung oder Ergänzung der Vergabeunterlagen i.S.d. Nr. 4 dar, die zum Ausschluss des Angebots führt. Dies gilt jedoch nicht für eine Nichterteilung der Zustimmung zur Bindefristverlängerung durch den Bieter. Denn in diesem Fall hat der Bieter trotzdem die in den Vergabeunterlagen vorgesehene ursprüngliche Bindefrist in seinem Angebot zutreffend berücksichtigt.

Die unterlassene Erklärung der Bindefristverlängerung stellt auch keine fehlende Unterlage dar, die nach Nr. 2 zum Angebotsausschluss führen würde. Die Nichterteilung der Zustimmung zur Bindefristverlängerung ändert auch nichts daran, dass das Angebot des Bieters sowohl form- als auch fristgerecht eingereicht worden ist. Ein Angebotsausschluss lässt sich daher auch nicht auf Nr. 1 stützen.

Gegebenenfalls Pflicht zur Zuschlagserteilung aufgrund haushaltsrechtlicher Bindungen

Der Auftraggeber ist u.U. unter der Geltung des öffentlichen Haushaltsrechts im Einzelfall sogar gehalten, den Zuschlag auf ein Angebot zu erteilen, obwohl die Bindefrist abgelaufen ist.

So ist es mit den haushaltsrechtlichen Bindungen, denen der Auftraggeber unterliegt, i.d.R. unvereinbar, das wirtschaftlichste Angebot von der Wertung nur deshalb auszunehmen, weil die Bindefrist abgelaufen ist und nunmehr der Zuschlag nicht mehr durch einfache Annahmeerklärung erteilt werden kann, sondern ein eigener Antrag des Auftraggebers und die Annahme durch den Bieter nötig sind.

Auswirkungen auf die Antragsbefugnis im Nachprüfungsverfahren

Kommt es zu einem Nachprüfungsverfahren, stellt sich die Frage nach der Antragsbefugnis des Bieters, der seine Zustimmung zur Bindefristverlängerung nicht (fristgerecht) erteilt hat. Antragsbefugt ist ein Bieter im Nachprüfungsverfahren nur, wenn er ein Interesse an dem öffentlichen Auftrag hat. Das OLG Celle hat klargestellt, dass allein aus der Tatsache, dass ein Bieter einer Bindefristverlängerung nicht (fristgerecht) zugestimmt hat, nicht zwingend geschlossen werden kann, dass er kein Interesse mehr an der Auftragserteilung hat. Vielmehr bringt der Bieter mit seiner Rüge und seinem anschließenden Nachprüfungsantrag deutlich das Gegenteil zum Ausdruck.

Im Ergebnis ist es für den Auftraggeber sinnvoll, von den Bietern die ausdrückliche Zustimmung zur beabsichtigten Bindefristverlängerung – und zwar vor deren Ablauf – anzufordern. Auf diese Weise wird die Möglichkeit der stillschweigenden Bindefristverlängerung ausgeschlossen und insoweit Rechtssicherheit geschaffen.

[GGSC] berät regelmäßig öffentliche Auftraggeber bei der Durchführung von Vergabeverfahren und hat bereits zahlreiche Vergabestellen erfolgreich in Nachprüfungsverfahren vertreten.

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