Anlagenzulassung: Auswirkungen des erweiterten Drittschutzes auf Genehmigungsverfahren
Mit dem Umweltrechtsbehelfsgesetz (UmwRG) ist der Drittschutz gegen Anlagenzulassungen immer weiter ausgebaut worden. Die dazu ergangene Rechtsprechung muss bereits im Genehmigungsverfahren beachtet werden.
Mit dem UmwRG wurde die Verbandsklage eingeführt, mit deren Hilfe anerkannte Umweltverbände Anlagenzulassungen unabhängig von einer Verletzung eigener Rechte gerichtlich überprüfen lassen können. Außerdem können verstärkt Verletzungen von Verfahrensvorschriften gerügt werden. Rechtsverstöße im Zulassungsverfahren, die früher folgenlos blieben, können nun zu erheblichen Schwierigkeiten führen.
HKW Rostock und EBS-Kraftwerk Stade
Ein Weckruf für Abfallentsorger war die Aufhebung der ohne UVP erteilten Genehmigung zur Änderung einer Abfallverbrennungsanlage zu einem EBS-Heizkraftwerk in Rostock. 2016 hob das OVG Greifswald die Genehmigung auf. Aufgrund einer zwischenzeitlichen Änderung des UmwRG korrigierte das Bundesverwaltungsgericht diese Entscheidung dahingehend, dass die Genehmigung nicht aufgehoben, sondern für nicht vollziehbar erklärt wurde, bis der Fehler in einem ergänzenden Verfahren geheilt worden ist.
Solche Entscheidungen wird es künftig häufiger geben. Aktuelles Beispiel sind die Urteile des OVG Lüneburg vom 24.10.2019 (Az.: 12 KS 118/17 u.a.) zur 3. Teilgenehmigung für das EBS-Kraftwerk Stade. Mit der angegriffenen Teilgenehmigung wurde die Anlage um ca. 160 m von dem im Vorbescheid genehmigten Standort verschoben und die Rauchgasreinigungsanlage geändert, ohne eine erneute UVP durchzuführen. Auch hier muss die UVP in einem ergänzenden Verfahren nachgeholt werden.
Ergänzendes Verfahren
Ein ergänzendes Verfahren ist nur zulässig, wenn die angegriffene Genehmigung in einem solchen Verfahren heilbar ist. Das müssen die Gerichte prüfen. Die Feststellung eines einzigen Rechtsfehlers führt also nicht automatisch zur Aufhebung der Genehmigung. Die Gerichte müssen auch die anderen aufgeworfenen Rechtsfragen prüfen und feststellen, ob andere Rechtsfehler vorliegen, die eine Heilbarkeit ausschließen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sind die Gerichte sogar gehalten, das Klagevorbringen umfassend zu prüfen und den Umfang der Rechtswidrigkeit im Urteil genau festzustellen, damit der Kläger gegen die spätere behördliche Entscheidung im ergänzenden Verfahren nicht mehr gerichtlich geltend machen kann, dass die Genehmigung an weiteren Fehlern leidet.
Aussetzung des Gerichtsverfahrens
Das UmwRG ermöglicht ferner, ein Gerichtsverfahren auf Antrag des Betreibers auszusetzen, um einen Fehler in einem ergänzenden Verfahren bereits vor Abschluss des Gerichtsverfahrens zu heilen. Das kann zu Unsicherheiten führen, weil das Gericht das Klagevorbringen in diesem Fall nicht vor Durchführung des ergänzenden Verfahrens umfassend prüfen muss. Es kann also vorkommen, dass der Betreiber und die Genehmigungsbehörde im ergänzenden Verfahren während des ausgesetzten Gerichtsverfahrens nur den Hauptfehler heilen. Wenn das Gericht anschließend einen weiteren Fehler feststellt, kann ein erneutes ergänzendes Verfahren erforderlich werden.
Vollziehbarkeit der Genehmigung
Ist eine Genehmigung erteilt, will der Betreiber in der Regel möglichst schnell von ihr Gebrauch machen. Klagen Dritte gegen die Genehmigung, wird gleichzeitig häufig in einem Eilverfahren über die sofortige Vollziehbarkeit, also über die Zulässigkeit des Beginns der Maßnahme entschieden. Wird die Vollziehbarkeit bejaht und mit dem Betrieb begonnen, kann gleichwohl später im Hauptsacheverfahren ein Verfahrensfehler festgestellt werden, der in einem ergänzenden Verfahren geheilt werden muss. Dann stellt sich die Frage, ob ein bereits laufender Betrieb bis zur Heilung des Fehlers unterbrochen werden muss.
Für UVP-pflichtige Vorhaben hat der EuGH
einen Weiterbetrieb in seinem Urteil über die Laufzeitverlängerung für belgische Kernkraftwerke aus 2019 nur in ganz besonders gelagerten Ausnahmefällen zugelassen. Die Rechtsprechung will verhindern, dass Genehmigungsbehörden und Betreiber Verfahrensfehler in Kauf nehmen in der Hoffnung, dass ein einmal aufgenommener Betrieb nicht mehr unterbrochen werden muss.
Konsequenzen für Genehmigungsverfahren
In Genehmigungsverfahren werden sich kleinere oder größere Verfahrensfehler niemals völlig vermeiden lassen. Werden diese nicht bereits im Genehmigungsverfahren geheilt, kann sich die Inbetriebnahme nach Genehmigungserteilung im Klagefall wegen des Gerichtsverfahrens und des eventuell nötigen ergänzenden Verfahrens erheblich verzögern oder sogar eine Unterbrechung des schon laufenden Betriebs erforderlich werden. Umgekehrt kann aber auch der Versuch, jeden möglichen Fehler bereits im Genehmigungsverfahren zu heilen, das Genehmigungsverfahren immer weiter verlängern.
In unserer Beratungspraxis wird es deshalb immer wichtiger, potenzielle Verfahrensfehler und ihre Auswirkungen im Falle einer Klage zu beurteilen. Hier muss jeweils im Einzelfall abgewogen werden, welche Option voraussichtlich mit akzeptableren Risiken verbunden ist.