Newsletter Abfall November 2022

Störfallrecht – Praxisprobleme bei der Einstufung von Abfällen

Das Störfallrecht dient der Verhinderung von Störfällen und der Beherrschung von Unfällen, die durch gefährliche Stoffe verursacht werden. Anlagen werden als störfallrechtlich relevant eingeordnet, wenn in ihnen bestimmte Stoffe gelagert und dabei festgelegte Kapazitätsmengen überschritten werden.

Auch Betreibende von Abfallbewirtschaftungsanlagen müssen sich mit dem Störfallrecht auseinandersetzen. Nicht unerhebliche Schwierigkeiten verursacht in der Praxis die Beurteilung, ob und in welchem Umfang Abfälle vom Anwendungsbereich des Störfallrechts erfasst werden.

Auch Abfälle unterfallen dem Störfallrecht

Der Anwendungsbereich des Störfallrechts richtet sich nach Anhang I der RL 2012/18/EU (Seveso-III-Richtlinie) bzw. Anhang I der Störfall-Verordnung (12. BImSchV – StörfallV), aus denen sich die maßgebenden Stoffe und festgelegten Kapazitätsgrenzen ergeben. Hiernach unterfällt ein Anlagenstandort dem Störfallrecht, wenn er die Mengenschwellen eines „Betriebsbereiches der unteren Klasse“ erreicht bzw. überschreitet.

Anhang I der StörfallV enthält eine Stoffliste, die im ersten Teil bestimmte Gefahrenkategorien (z.B. E1 „Gewässergefährdend“ ab einer Menge von 100.000 kg) und im zweiten Teil namentlich genannte Stoffe (z.B. Ammoniak ab einer Menge von 50.000 kg) enthält. Lassen sich Abfälle nach ihrer Zusammensetzung und ihren chemischen Eigenschaften einer dieser Gefahrenkategorien oder einem der genannten Stoffe zuordnen, unterfallen sie dem Störfallrecht, sobald die am Anlagenstandort genehmigten Mengen die Kapazitätsgrenzen des Anhangs I erreichen.

Bei der Berechnung der Mengenschwellen kommt es auf den Gesamtstandort an: Einberechnet werden müssen alle Einzelanlagen desselben Anlagenbetreibers, die in einem organisatorischen, betriebstechnischen sowie räumlichen Zusammenhang stehen, einschließlich gemeinsamer oder verbundener Infrastrukturen, wie Rohrleitungen, werksinternen Transporteinrichtungen und Lager aller Art. Werden also dieselben Abfallarten am Standort in verschiedenen Einzelanlagen angenommen, gelagert, behandelt und entsorgt, sind die auf dem Werkgelände insgesamt vorhandenen Mengen anlagenübergreifend zu addieren.

Vom Anwendungsbereich des Störfallrechts ausgenommen sind allerdings Deponien sowie Abfalltransportfahrzeuge außerhalb des Werkgeländes.

Praxisprobleme bei der Einstufung von Abfällen

Die Einstufung von Abfällen nach der Stoffliste des Anhangs I verursacht in der Praxis erhebliche Schwierigkeiten: Selten ist die chemische Zusammensetzung der angenommenen Abfälle bekannt. In der Regel liegen den Anlagenbetreibenden lediglich die Abfallschlüsselnummern der gehandhabten Abfälle vor.

Diese Problematik ist seit langem bekannt. Die Kommission für Anlagensicherheit (KAS) hat im Jahre 2012 einen Leitfaden zur Einstufung von Abfällen gemäß Anhang I der StörfallV veröffentlicht. Dort wurde versucht, anhand der Abfallschlüsselnummern pauschale Rückschlüsse auf die chemische Zusammensetzung zu ziehen und jede AVV-Nr. allgemein einer oder mehrerer Gefahrenkategorien zuzuordnen. Der Leitfaden wurde jedoch in der Wirtschaft stark kritisiert. Ebenfalls problematisch ist, dass er noch auf der alten Fassung der StörfallV beruht und bei der Anwendung zunächst auf die aktuelle Rechtslage übertragen werden muss. Die KAS hat einen Arbeitskreis „Einstufung von Abfällen“ (AK-EA3) gebildet, der den KAS-Leitfaden überarbeiten soll. Ein erster Entwurf ist für Ende 2022 angekündigt.

Auch die Bundesländer haben teilweise versucht, den Vollzug der StörfallV zu verallgemeinern und zu vereinfachen. So existiert bspw. in Nordrhein-Westfalen seit dem Jahr 2018 eine Arbeitshilfe für die Einstufung von Abfällen nach Anhang I der StörfallV für die Vollzugspraxis.

Sowohl der KAS-Leitfaden als auch die Arbeitshilfe aus Nordrhein-Westfalen haben gemeinsam, dass sie von vornherein lediglich die gefährlichen Abfallarten betrachten. Solche Leitfäden und Arbeitshilfen sind nicht verbindlich, können jedoch zur Orientierung herangezogen werden.

Das Störfallrecht auch bei Bestandsanlagen im Blick behalten

Auch Betreibende von Bestandsanlagen haben kontinuierlich im Blick zu behalten, ob ihre Anlagen(parks) in den Anwendungsbereich der StörfallV fallen. Eine Überprüfung sollte v.a. immer dann erfolgen, wenn tatsächliche Änderungen an einer Anlage vorgenommen werden, z.B. neue Abfallarten aufgenommen oder Mengen erhöht werden. Aber auch anlasslose Überprüfungen sollten regelmäßig erfolgen, da sich der Anwendungsbereich der StörfallV für Bestandsanlagen auch eröffnen kann, ohne dass tatsächlich Änderungen an den Anlagen vorgenommen werden, nämlich aufgrund von Gesetzesänderungen im Störfallrecht. Gesetzesnovellen sind insbesondere im Immissionsschutzrecht genau zu verfolgen, da nur ein eingeschränkter Bestandsschutz für genehmigte Anlagen existiert.

Die nächste Gelegenheit zur Überprüfung ergibt sich in Kürze, wenn der Entwurf des überarbeiteten KAS-Leitfadens veröffentlicht wird.

[GGSC] berät öffentlich-rechtliche Entsorgungsträger und kommunale Entsorgungsunternehmen regelmäßig gerichtlich und außergerichtlich in allen Fragen des Abfall- und Anlagenzulassungsrechts.

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