Mehrvergütung für notwendige Zusatzleistungen – auch ohne Anordnung
Bestimmungen im Bauvertrag und im Abnahmeprotokoll können sich widersprechen, z. B. bei Beginn und Dauer der Gewährleistungsfristen. Ob bei so einem Widerspruch die Regelungen des Bauvertrags oder des Abnahmeprotokolls gelten sollen, hängt davon ab, ob es sich um eine Vertragsänderung oder ein bloßes Versehen handelt. Entscheidend hierfür sind die Umstände des Einzelfalls.
So hat das OLG München in einem Beschluss entschieden, dass die Vertragsparteien die Regelung zur Gewährleistungsfrist einvernehmlich im Abnahmeprotokoll abgeändert haben (9 U 7047/20 Bau).
Der Fall
Der Bauherr und das ausführende Unternehmen vereinbarten im Vertrag über die Errichtung eines Gebäudes eine Gewährleistungsfrist von 5 Jahren und 2 Monaten. Als Beginn der Verjährungsfrist setzte der Vertrag ohne weitere Einschränkungen den 01.01.2011 fest. Die ursprünglich geplante Fertigstellung des Gebäudes verzögerte sich aber um mehr als 2 Jahre. Grund dafür waren unter anderem verschiedene Ergänzungsaufträge des Bauherrn. Im Abnahmeprotokoll, dass der Bauherr vorformuliert hatte, war als Beginn der Gewährleistungsfrist dann der 05.03.2013 aufgeführt. Im Zuge der Abnahme übergab der Auftragnehmer dem Bauherrn eine Bürgschaft zur Sicherung von Mängelansprüchen.
Der Auftragnehmer verlangte nach Ablauf der Gewährleistungsfrist von 5 Jahren und 2 Monaten, berechnet ab 01.01.2011, die Herausgabe der Gewährleistungsbürgschaft vom Bauherrn. Als dieser sich weigerte, klagte der Auftragnehmer auf Herausgabe.
Die Entscheidung
Das Gericht folgt der Auffassung des Bauherrn und sieht das Herausgabeverlangen als im Zeitpunkt der Klage unbegründet an. Maßgeblich für den Beginn der Gewährleistungsfrist sei nicht der im Bauvertrag vereinbarte Termin (01.01.2011). Vielmehr komme es auf den im Abnahmeprotokoll genannten Fristbeginn an (05.03.2013).
Nach der Argumentation des OLG kommt es bei Widersprüchen zwischen Bauvertrag und Abnahmeprotokoll darauf an, ob die Parteien einvernehmlich mit dem Protokoll Vertragsinhalte abändern wollten oder ob es sich lediglich um ein Redaktionsversehen bei Erstellung und Unterzeichnung des Protokolls gehandelt hat. Dies entspricht der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes: Zur Abgrenzung sind danach die Gesamtumstände zu betrachten.
Hier hatte sich aus dem Verhandlungsprotokoll zum Bauvertrag ergeben, dass die Parteien den Beginn der Gewährleistungsfrist an die Abnahme knüpfen wollten. Insbesondere ergab eine Gesamtschau aus Verhandlungsprotokoll und Bauvertrag, dass die Parteien davon ausgegangen waren, dass zum 01.01.2011 die wesentlichen Vertragsleistungen fertiggestellt sein würden. Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Parteien im Falle einer erheblichen Bauzeitverlängerung aufgrund von Ergänzungsaufträgen den Beginn der Gewährleistungsfrist von der Fertigstellung des Gebäudes abkoppeln wollten. Vor diesem Hintergrund ist die Änderung des Fristbeginns im Abnahmeprotokoll als eine Anpassung an die geänderten tatsächlichen Umstände und damit als Vertragsänderung zu verstehen. Da die Gewährleistungsfrist somit noch nicht abgelaufen war, konnte der Auftragnehmer die Bürgschaft noch nicht herausverlangen.
Hinweis
Abweichungen zwischen vertraglichen Regelungen und den Angaben im Abnahmeprotokoll sind nicht selten. Die Parteien sollten daher genau darauf achten, ob es solche inhaltlichen Abweichungen gibt. Wie im besprochenen Fall können diese unter Umständen nämlich als eine Vertragsänderung ausgelegt werden. Um spätere Auseinandersetzungen über den Regelungsinhalt zu vermeiden, empfiehlt es sich, im Abnahmeprotokoll ausdrücklich zu vermerken, welchem Zweck die Änderung dient.