Sanierungsverordnung für das Dragoner-Areal unwirksam
Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg hat entschieden, dass die 13. Verordnung über die förmliche Festlegung von Sanierungsgebieten unwirksam ist.
Die Verordnung datiert aus dem Jahr 2016 und betrifft den sog. Rathausblock im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg von Berlin, dessen Kern das bekannte Dragoner-Areal bildet. Das Grundstück des Dragoner-Areals stand bis 2019 im Eigentum der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA), einer bundesunmittelbaren Anstalt des öffentlichen Rechts im Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen. Eine der Hauptaufgaben der BImA besteht darin, nicht mehr benötigte Bundesgrundstücke am Markt gewinnorientiert zu veräußern. Demgemäß hatte die BImA schon im Jahr 2014 mit der Vermarktung des Dragoner-Areals begonnen und im Rahmen eines Bieterverfahrens fünf Angebote von jeweils rund 35 Mio. € erhalten. Der entsprechende Kaufvertrag mit dem Meistbietenden erhielt jedoch nicht die Genehmigung des Finanzausschusses des Bundesrates, weil der Kaufpreis als überhöht und durch bezahlbare Mieten nicht refinanzierbar erschien. Bald darauf leitete das Land Berlin vorbereitende Untersuchungen für eine städtebauliche Sanierungsmaßnahme ein und beschloss im Jahre 2016 dann deren Durchführung. Das Oberverwaltungsgericht sah die Belange der BImA im Rahmen der Abwägung als nicht hinreichend berücksichtigt an.
Finanzielle Interessen der BImA am Verkauf des Areals fehlerhaft abgewogen
Das Oberverwaltungsgericht hat mit Urteil vom 10.01.2023 (10 A 3/17) insoweit darauf abgestellt, dass das von Berlin in Auftrag gegebene Verkehrswertgutachten den sanierungsunbeeinflussten Wert des Dragoner-Areals mit rund 25 Mio. € zu niedrig bewertet hatte. Denn das Verkehrswertgutachten hatte die Gebote des vorausgehenden Bieterverfahrens ausdrücklich als „spekulativ“ außer Ansatz gelassen. Das Oberverwaltungsgericht folgte dem nicht. Die Erwartung künftiger Bebaubarkeit des Areals sei zwar nicht sicher gewesen, habe die Angebote jedoch nicht als „wirtschaftlich unvernünftig“ erscheinen lassen. Vielmehr hätten die Gebote den damaligen Verkehrswert korrekt abgebildet, was sich auch daraus entnehmen lasse, dass mehrere Personen Gebote über 30 Mio. € abgegeben hatten. Aufgrund der Sanierungsverordnung und der damit verbundenen Genehmigungspflicht von Grundstückverkäufen wäre die BImA auf der Grundlage dieses Gutachtens gehindert gewesen, das Areal weiterhin für rund 35 Mio. € zu veräußern. Denn die sanierungsrechtliche Genehmigung kann nur erteilt werden, wenn der Kaufpreis dem sanierungsunbeeinflussten Wert entspricht. Damit reduzierte die Sanierungsgebietsfestlegung den potenziell rund 35 Mio. € betragenen Verkehrswert um bis zu 10 Mio. €. Dieser Gesichtspunkt sei vom Land Berlin in der Abwägung nicht zutreffend gewürdigt worden. In der Abwägung hätte das Land Berlin vielmehr den ungeschmälerten Wert des Grundstücks zugrunde legen müssen. Ferner sei das Land Berlin insoweit auch zu Unrecht davon ausgegangen, dass es der BImA als Trägerin öffentlicher Belange zumutbar gewesen sei, eine Minderung ihrer Erwerbsaussichten hinzunehmen. Daran ändere es auch nichts, dass Träger öffentlicher Belange die Gemeinde im Rahmen der Sanierung zu unterstützen haben. Denn diese Unterstützungspflicht greife erst mit Inkrafttreten der Sanierungsverordnung ein, so dass bis zu diesem Zeitpunkt bestehende wirtschaftliche Interessen und Belange ungeschmälert der Abwägung zugrunde zu legen seien.
Bemerkenswerte Begründung des Urteils
Die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts ist deshalb bemerkenswert, weil die BImA das Dragoner-Areal mit Wirkung zum 01.07.2019 an das Land Berlin zur Errichtung von Wohnungen, davon rund die Hälfte öffentlich geförderte Wohnungen, veräußert hatte, so dass sich der von der BImA selbst eingelegte Normenkontrollantrag im Zeitpunkt der jetzigen Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts bereits seit mehr als zwei Jahren erledigt hatte. Allerdings hatten noch weitere sanierungsbetroffene Grundstückseigentümer Normenkontrollanträge gestellt und bis zum Schluss aufrechterhalten. Auf eine mögliche Verletzung der zum Zeitpunkt der Entscheidung noch verbliebenen Antragsteller in ihren Rechten ist das Oberverwaltungsgericht jedoch nicht einmal mehr am Rande eingegangen, sondern hat die Entscheidung einzig und allein mit der fehlerhaften Abwägung der Interessen der BImA begründet.
Normenkontrollverfahren als objektives Rechtsbeanstandungsverfahren
Um dies zu verstehen, muss man wissen, dass es sich bei dem Normenkontrollverfahren nach § 47 VwGO zwar einerseits um ein subjektives Rechtsschutzverfahren handelt, das dem Einzelnen die Möglichkeit gibt, geltend zu machen, dass er durch eine Satzung bzw. Rechtsverordnung nach dem Baugesetzbuch in seinen Rechten verletzt wird. Auf der Ebene der Begründetheit prüft das Normenkontrollgericht dann jedoch – anders als bei der Anfechtung eines Verwaltungsakts – die objektive Rechtmäßigkeit der Satzung bzw. Verordnung vollständig (Unausgesprochener) Hintergrund dieser Rechtslage ist die Dogmatik der Grundrechtsprüfung. Sanierungssatzungen bzw. Sanierungsverordnungen greifen in das Eigentumsgrundrecht der Sanierungsbetroffenen aus Art. 14 Abs. 1 GG, jedenfalls aber in deren durch Art. 2 Abs. 1 GG gewährleistete allgemeine Handlungsfreiheit, ein. Grundrechte können jedoch nur durch ein formell und materiell rechtmäßiges Gesetz eingeschränkt werden. Da Sanierungssatzungen bzw. -verordnungen die Qualität von Rechtsnormen haben, sind sie nur dann rechtmäßig, wenn sie insgesamt formell und materiell dem geltenden Recht entsprechen. Aufgrund der sog. Rügeobliegenheit vor Erhebung eines Normenkontrollantrages ist für eine Prüfung seitens des Gerichtes lediglich erforderlich, dass irgendjemand den entsprechenden Fehler zuvor fristgemäß, also binnen eines Jahres nach Inkrafttreten der Satzung bzw. Verordnung, gegenüber der Gemeinde gerügt hat. Dies war vorliegend seitens der BImA geschehen. Der Gesetzgeber hat mit § 47 VwGO an diesem System „überschießenden“ Rechtsschutzes des Bürgers ungeachtet der erheblichen Folgen für die Rechtssicherheit der planenden Gemeinden stets festgehalten. Die Kommunen können somit, bevor nicht das letzte Normenkontrollverfahren gegen eine Satzung bzw. Rechtsverordnung nach dem Baugesetzbuch entschieden wurde, nicht darauf vertrauen, dass das Verfahren rechtssicher abgeschlossen werden kann.