Newsletter Bau Mai 2024

Artenschutz als (weiteres) Hindernis beim Bauen

Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg hat sich in zwei aktuellem Entscheidungen des einstweiligen Rechtschutzes einer sehr strengen und ohne Rechtsgrundlagen entwickelten Verwaltungspraxis der bezirklichen Umweltämter angeschlossen.

In beiden Fällen (Beschl. v. 23.02.2024 – OVG 11 S 10/24 und v. 27.02.2024 – OVG 11 S 9/24) liegen unanfechtbare Zulassungen für die entsprechenden Bauvorhaben vor, die bezirklichen Umweltämter gingen jedoch davon aus, dass keine ausreichenden Untersuchungen zur Beurteilung zu erwartender artenschutzrechtlicher Eingriffe vorlägen und dementsprechend auch nicht von einem ausreichenden Ausgleich ausgegangen werden könne. Das OVG hat nun bestätigt: Nur, wenn die Baugrundstücke umfassend auf alle Arten kartiert und alle denkbaren Eingriffe vorab ausgeglichen sind, darf gebaut werden.

Einordnung der Entscheidungen

Außer Betracht bleibt bei dieser Auslegung die komplexe in § 44 BNatSchG geregelte Systematik der artenschutzrechtlichen Zugriffsverbote. In der „freien Natur“ gelten zwar strenge „Zugriffsverbote“ (§ 44 Abs. 1 BNatSchG). In Gebieten mit Baurecht, also mit Bebauungsplänen und in Innenbereichen nach § 34 BauGB sind diese Zugriffsverbote aber erheblich abgemildert (§ 44 Abs. 5 BNatSchG).

Die Auslegung der Behörden und auch der Gerichte führt dazu, dass die Privilegierungen des § 44 Abs. 5 BNatSchG so weit reduziert werden, dass sie faktisch keine Anwendung mehr finden. Jeder auch nur minimal bestehende Gefahrenverdacht zwingt Bauherren Kartierungen und Gutachten in Auftrag zu geben, sodass praktisch nur gebaut werden kann, wenn gleich große Ersatzlebensräume „im räumlichen Zusammenhang“ geschaffen werden können und zwar vor Baubeginn.

Es gibt jedoch weder eine Rechtsgrundlage dafür, vom Bauherrn im Baugenehmigungs-verfahren grundsätzlich umfassende Untersuchungen zu fordern noch wäre eine solche Verpflichtung verhältnismäßig. Eine Auseinandersetzung mit den Voraussetzungen der Privilegierungen findet nicht mehr statt, wäre aber jedenfalls in dem Verfahren des OVG zum Aktenzeichen OVG 11 S 9/24 zu dem Ergebnis gekommen, dass kein Verstoß gegen den Artenschutz vorliegt. Denn wenn auch in ihrem angestammten Biotop von tausend neugeborenen Wechselkröten meist 980 schon die Geschlechtsreife nicht erreichen, besteht keine „signifikante Erhöhung“ des Tötungsrisikos, wenn ein Bagger auf einem Baufeld möglicherweise – aber dann unvermeidlich – auf ein oder zwei von ihnen trifft. Völlig unverhältnismäßig ist es erst recht, eine über zwei Jahre laufende erneute „Kartierung“ eines bereits im Bebauungsplanverfahren umfassend kartierten Baufelds zu verlangen, nur weil vor einigen Jahren in der Nähe einige wenige Kröten gesichtet wurden. Unsere Rechtsordnung schreibt auch in übrigen Rechtsbereichen keine ständige abschließende Gefahrerforschung vor, wenn bei realistischer Betrachtung der Schaden hinnehmbar ist.

Praxisrelevanz

In den entsprechenden gerichtlichen Entscheidungen wird ausschließlich auf die Erfüllung oder Nichterfüllung der unbestimmten Rechtsbegriffe abgestellt. Die sonst im einstweiligen Rechtsschutz gebotene Interessenabwägung findet nicht statt. Die Entscheidungen im einstweiligen Rechtsschutz sind dementsprechend praktisch immer endgültig, denn kein Bauherr kann es sich leisten mit seinem Bauvorhaben jahrelang zu warten, bis die Unverhältnismäßigkeit der Rechtsanwendung im Verfahren zur Hauptsache endlich festgestellt wird.

Im geplanten „Schneller-Bauen-Gesetz“, das Ende 2024 in Kraft treten soll, will der Landesgesetzgeber Prüfverfahren verkürzen, um dadurch Verzögerungen bei Bauvorhaben zu verhindern. Zudem sollen Zuständigkeiten zwischen Landes- und Bezirksebene klarer geregelt werden und die Landesebene soll mehr Einfluss auf bestimmte Verfahren bekommen. Ob es dadurch gelingt, sich wieder auf das verfassungsrechtlich gebotene Maß der Verhältnismäßigkeit zurückzubewegen, bleibt abzuwarten.

Vertiefende Ausführungen können Sie nachlesen unter „Das Berliner Artenschutz-Desaster“, Groth/Raether, in: Das Grundeigentum, Nr. 8/24, S. 385 – 387.

Weitere Artikel des Newsletters

Wieder einmal hat sich ein Gericht zum „funktionalen Mangelbegriff“ geäußert: Es reicht nicht, Vorgaben aus der Leistungsbeschreibung umzusetzen, das Bauunternehmen schuldet einen funktionalen Werkerfolg, zu dem auch gehört, dass die allgemein anerkannten Regeln der Technik umgesetzt werden.
weiter
Ein Architekt hat Bedenken gegen eine Konstruktion und fordert vom Bauherrn deshalb die Expertise eines Spezialisten. Der Bauherr holt die Expertise ein und übergibt sie dem Architekten, der Handwerker führt die Planung fachgerecht aus. Dennoch kommt es in der Folge zu Baumängeln. Wer haftet hier?
weiter

Veranstaltungen

2024
17
Jul

Bei der Altkleidererfassung stehen Kommunen und kommunale Unternehmen gleich mehrfach unter Druck: zum 1. Januar des kommenden Jahres müssen sie als öffentlich-rechtliche Entsorgungsträger eine Getrennterfassung gewährleisten. Es gibt konkurrierende private und Erfassungs- und Rücknahmesysteme, die ...

ORT: Online-Seminar
VERANSTALTER: [GGSC] Seminare
Zur Website der Veranstaltung