Newsletter Bau Mai 2024

Dicht-dicht ist rechtlich nicht wasserdicht

Ein Architekt hat Bedenken gegen eine Konstruktion und fordert vom Bauherrn deshalb die Expertise eines Spezialisten. Der Bauherr holt die Expertise ein und übergibt sie dem Architekten, der Handwerker führt die Planung fachgerecht aus. Dennoch kommt es in der Folge zu Baumängeln. Wer haftet hier? 

Der Fall

Eine Bauherrengemeinschaft errichtet eine Reihe baugleicher Doppelhäuser und beauftragt, neben anderen, einen Architekten mit der Ausführungsplanung und Bauüberwachung. Die Dächer der Gebäude plant der Architekt als sog. Dicht-Dicht-Konstruktion. Das ist eine einschalige und unbelüftete Bauweise, bei der die nach außen abdichtende Dachhaut direkt auf die Dämmung aufgebracht wird, während unter der Dämmung zur Gebäudeinnenseite ebenfalls eine abdichtende Dampfsperre verbaut ist. Diese Dicht-Dicht-Konstruktionen sind auch bei fachgerechter Ausführung extrem fehleranfällig für Feuchtigkeitseintritte zwischen den Dichtschichten. Vor diesem Hintergrund hatte der Architekt Bedenken hinsichtlich der Art der Innenabdichtung und forderte hierzu von den Bauherren die Einschätzung eines Fachplaners für Bauphysik. Die Bauherren holten eine solche Stellungnahme bei einem Fachplaner ein, der erklärte, dass für eine fachgerechte Innenabdichtung eine Dampfsperre zu verwenden sei.

Im Jahr 2015 stellten die späteren Eigentümer erhebliche Feuchtigkeitsansammlungen im Dachaufbau fest, wodurch mittelfristig mit einer Beschädigung der Dachkonstruktion durch das Wachstum holzzerstörender Pilze zu rechnen war. Die Eigentümer nahmen daher (u. a.) den Architekten und den Fachplaner auf Schadensersatz in Anspruch.

Die Entscheidung

Das OLG Stuttgart (Urteil vom 28.03.2023 – 10 U 29/22) verurteilte den Architekten zum Schadensersatz, kürzte jedoch den Anspruch der Eigentümer um 25 % wegen Mitverschuldens durch die Überlassung der Stellungnahme des Fachplaners. Spätestens zum Zeitpunkt der Abnahme der Gebäude im Februar 2012 sah die für Holzschutz im Hochbau einschlägige DIN 68800 die von dem beklagten Architekten gewählte Art der Konstruktion nicht mehr vor. Erschwerend kommt für das Gericht hinzu, dass schon zum Zeitpunkt der Planung im Jahr 2011 diese Konstruktion nicht mehr den allgemein anerkannten Regeln der Technik entsprach und formal noch gültige anderslautende DIN-Normen zu diesem Zeitpunkt überholt waren.

Die Stellungnahme des ebenfalls beklagten Fachplaners war für sich genommen zutreffend. Diese hatte isoliert nur die Frage zum Gegenstand, auf welche Weise die Innenabdichtung zu erfolgen habe. Allerdings lagen dem Fachplaner die vollständigen Planungsunterlagen für den gesamten Dachaufbau vor, weshalb dieser die Bauherren ungefragt hätte darauf hinweisen müssen, dass die vorgesehene Konstruktionsweise risikobehaftet für Feuchtigkeitsschäden ist. Dieser Hinweis war unterblieben. Der planende Architekt ist zwar kein Experte für Bauphysik, durfte sich aber dennoch nicht blind auf die Stellungnahme des Fachplaners verlassen. Bei der generellen Frage, ob Dicht-Dicht-Konstruktionen den allgemein anerkannten Regeln der Technik entsprechen, handelt es sich nämlich um planerisches Grundwissen, über das auch Architekten verfügen müssen.

Auswirkungen für die Praxis

Auftraggeber sollten vorsichtig sein, wenn sie Baubeteiligten Unterlagen überlassen. Sind diese Unterlagen fehlerhaft, müssen sich Bauherren unter Umständen ein Mitverschulden zurechnen lassen, wenn es deswegen zu Baumängeln kommt. In Fällen wie hier, in denen der Fachplaner zwar vom Bauherrn, nicht aber von den späteren Eigentümern beauftragt wurde, haben die Eigentümer trotz Mitverschuldens nicht einmal unmittelbar einen Anspruch gegen den Fachplaner.

Architekten hingegen sollten die Zuarbeit von Sonderfachleuten niemals ungeprüft übernehmen. Sind diese Unterlagen nämlich fehlerhaft und hätten die Architekten dies erkennen können, sind sie hierfür haftbar. Zudem veranschaulicht das Urteil abermals den „Klassiker“, dass gültige DIN-Normen nicht ohne weiteres mit den anerkannten Regeln der Technik gleichgesetzt werden dürfen.

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