Gesetzgeber ändert wichtige Regelungen im Naturschutzrecht für die Errichtung von Windenergieanlagen
Co-Autorin: Rechtsanwältin Lea Wiesmüller
Wie zuletzt berichtet (Energie-Newsletter Mai 2021), führt das Artenschutzrecht in der Praxis zu langwierigen Genehmigungsverfahren für Windenergieanlagen an Land („WEA“).
Gleichzeitig hat der Gesetzgeber mit dem EEG 2023 ambitionierte Ausbauziele für erneuerbare Energien, besonders für WEA vorgegeben. Um den Ausbau tatsächlich zu beschleunigen, will der Gesetzgeber im Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG) wesentliche Hemmnisse für den Ausbau der Windenergie an Land abbauen. Am 29.07.2022 ist deshalb (abgesehen vom neuen § 26 Abs. 3 BNatSchG, vgl. dazu ebenfalls unseren Beitrag in diesem Newsletter) das Vierte Gesetz zur Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes vom 20. Juli 2022 in Kraft getreten. Nachfolgend stehen die damit verbundenen maßgeblichen Änderungen des Artenschutzrechts im Mittelpunkt.
Standardisierung der Signifikanzprüfung: Tötungs- und Verletzungsverbot
Bereits seit langer Zeit werden bundeseinheitliche Regelungen für die Prüfung der artenschutzrechtlichen Verbotstatbestände, insbesondere das Tötungsverbot des § 44 Abs. 1 BNatSchG für besonders geschützte Tierarten vor allem Vogelarten wie den Rotmilan gefordert. Zwar existieren bisher in unterschiedlicher Ausprägung entsprechende Leitfäden oder Handlungsanweisungen in den einzelnen Bundesländern. Ohne eine bundesweit einheitliche Regelung existiert aber keine ausreichende Rechtssicherheit. Dies gilt vor allem für die Rechtsprechung der Oberverwaltungsgerichte und des Bundesverwaltungsgerichtes.
Besonders im Focus steht die sog. Signifikanzprüfung. WEA sind nur dann genehmigungsfähig, wenn deren Betrieb das Tötungs- und Verletzungsrisiko vor allem besonders geschützter Vogelarten nicht signifikant erhöht oder sich entsprechende Risiken durch fachlich anerkannte Schutzmaßnahmen wie z.B. entsprechende farbliche Markierungen der WEA oder sogar temporäre Abschaltungen bei Erntemaßnahmen vermeiden lassen (vgl. § 44 Abs. 5 S. 2 Nr. 1 BNatSchG).
Meist sind sehr aufwändige Untersuchungen wie eine Raumanalyse notwendig, um das aktuelle und potentielle Verhalten kollisionsgefährdeter Vogelarten wie z.B. des Rotmilans nach Errichtung und Inbetriebnahme von WEA vor Ort feststellen zu können. Dabei helfen von vornherein feststehende Abstandsregelungen, welche um eine WEA liegende Flächen mit höheren und geringerem Gefährdungspotential z.B. bei der Nahrungssuche festlegen.
Der Gesetzgeber führt nunmehr mit § 45b Abs. 1-5 BNatSchG eine generell geltende Standardisierung dieser Signifikanzprüfung für kollisionsgefährdete Brutvogelarten im Umfeld ihrer Brutplätze durch den Betrieb von WEA ein. Der Prüfungsumfang orientiert sich dabei an der Nähe des Brutplatzes zur WEA und dem damit verbundenen Gefährdungspotential.
Dafür existieren drei Regelvermutungen, die an bestimmte Abstände zwischen Brutplatz und Windenergieanlage anknüpfen („Abstandsmodell“ in § 45b Abs. 3-5 BImSchG).
Dies sind der Nahbereich, der zentrale Prüfbereich und der erweiterte Prüfbereich (vgl. Anlage 1 Abschnitt 1 zu § 45b BImSchG). In der Anlage sind für 15 Brutvogelarten die drei Bereiche für die verschiedenen kollisionsgefährdeten Brutvogelarten erfasst. Bei dem bereits erwähnten und häufig anzutreffenden Rotmilan betragen diese Bereiche 500 m/1.200 m/3.500 m jeweils gemessen vom Mastfußmittelpunkt.
Die Liste der erfassten 15 Brutvogelarten ist abschließend (BT-Drs. 20/2354, S. 31). Insoweit wird kritisiert, dass dadurch allen übrigen Brutvögeln, darunter auch vom Aussterben bedrohten Vogelarten wie dem Großen Brachvogel oder der Bekassine, der Schutz des Tötungs- und Verletzungsverbots entzogen werde und somit ein Verstoß gegen EU-Recht vorliege.
Liegt eine WEA in einer Entfernung zum Brutplatz innerhalb des Nahbereiches, so steht fest, dass das Tötungsrisiko signifikant erhöht ist. Dieses Ergebnis lässt sich selbst durch aufwändige Untersuchungen wie eine Raumanalyse nicht ändern (vgl. „ist … signifikant erhöht“, § 45b Abs. 2 BImSchG). Die geplante WEA dürfte an diesem Standort grundsätzlich nicht genehmigungsfähig sein.
Befindet sich zwischen dem Brutplatz und der WEA ein Abstand, der größer als der jeweilige Nahbereich und geringer als der jeweilige zentrale Prüfbereich ist, so bestehen – zunächst – Anhaltspunkte für ein erhöhtes Tötungsrisiko (§ 45b Abs. 3 BImSchG). Diese Vermutung kann der Betreiber mittels Habitatpotentialanalyse oder Raumnutzungsanalyse widerlegen (§ 45b Abs. 3 Nr. 1 BImSchG).
Eine hinreichende Risikominderung liegt für die betreffende Art in der Regel bereits dann vor, wenn die Genehmigungsbehörde in der Genehmigung geeignete fachliche Schutzmaßnahmen wie Antikollisionssysteme, Abschaltungen bei landwirtschaftlichen Ereignissen, das Anlegen attraktiver Ausweichnahrungshabitate oder artspezifische Abschaltungen festlegt (§ 45b Abs. 3 Nr. 2 BImSchG). Anscheinend hält der Gesetzgeber bei der Festlegung entsprechender Maßnahmen die Durchführung einer Habitatpotential- oder eine Raumnutzungsanalyse nicht für zwingend erforderlich („oder“).
Dieser Ansatz ist grundsätzlich sehr zu begrüßen. Dieses Vorgehen bleibt dennoch in der Genehmigungspraxis noch zu verankern. Hier stellt sich die Frage, wie in Zweifelssituationen zu verfahren ist („in der Regel“). Um zügig eine rechtssichere Genehmigung erhalten zu können, dürfte es weiterhin wichtig sein, zumindest eine Habitatpotentialanalyse generell durchzuführen.
Liegt zwischen dem Brutplatz und der Windenergieanlage ein Abstand, der größer als der zentrale Prüfbereich und höchstens so groß ist wie der erweiterte Prüfbereich, so ist das Tötungs- und Verletzungsrisiko der den Brutplatz nutzenden Exemplare nicht signifikant erhöht (§ 45b Abs. 4 BImSchG). Diese Regelvermutung gilt grundsätzlich zugunsten des Betreibers. Dieser muss dann keine (weiteren) Untersuchungsmaßnahmen wie Kartierungen mehr durchführen.
Allerdings kann die Behörde diese Vermutung widerlegen, wenn die Aufenthaltswahrscheinlichkeit des Exemplars in dem vom Rotor überstrichenen Bereich aufgrund artspezifischer Habitatnutzung oder funktionaler Beziehungen deutlich erhöht ist (§ 45b Abs. 4 Nr. 1 BImSchG) und sich diese Risikoerhöhung nicht durch fachlich anerkannte Schutzmaßnahmen verringern lässt (§ 45b Abs. 4 Nr. 2 BImSchG). Als Datengrundlage für entsprechende Feststellungen sollen behördliche Kataster und behördliche Datenbanken dienen. Offen bleibt allerdings, wie bei fehlenden, veralteten oder lückenhaften Datengrundlagen zu verfahren ist.
Deshalb sollte ein Betreiber bei im erweiterten Prüfbereich liegenden WEA – vor allem bei Standorten mit hohen Brutvogelvorkommen – überlegen, vorsorglich eigene Untersuchungen durchzuführen.
Liegt zwischen dem Brutplatz einer Brutvogelart und der Windenergieanlage ein über den jeweiligen erweiterten Prüfbereich hinausgehender Abstand, so ist das Tötungs- und Verletzungsrisiko der den Brutplatz nutzenden Exemplare nicht signifikant erhöht. Schutzmaßnahmen sind nicht erforderlich (§45b Abs. 5 BImSchG).
Neben diesem Abstandsmodell standardisiert der Gesetzgeber auch die fachlich anerkannten Schutzmaßnahmen. Diese sind in Anlage 1 Abschnitt 2 aufgezählt (§ 45b Abs. 6 Satz 1 BImSchG). Diese Regelungen betreffen auch die Verhältnismäßigkeit von Schutzmaßahmen. So sind Schutzmaßnahmen, die zu Abschaltungen der WEA führen, immer unzumutbar, wenn sie den Jahresenergieertrag um mehr als 8 % bei windhöffigen Standorten und bei sonstigen Standorten um mehr als 6 % verringern (§ 45b Abs. 6 Satz 2 BImSchG). Die Einführung dieser pauschalen Zumutbarkeitsschwelle ist stark umstritten. So wenden Naturschutzverbände wie der NABU ein, dass dadurch standort- und artspezifische Gegebenheiten ignoriert würden und es zu einem verminderten Einsatz wirksamer Schutzmaßnahmen komme. Dadurch werde letztendlich der Artenschutz geschwächt, weil gerade die Abschaltung eine der effektivsten Schutzmaßnahmen sei.
Erleichterte Ausnahmen bei Verstoß gegen das Verletzungs- und Tötungsverbot
Trotz entsprechender Schutzmaßnahmen oder bei Zweifeln an der Wirksamkeit kann der Betrieb einer WEA gegen das Tötungs- und Verletzungsverbot verstoßen. Für diese Fälle hat der Gesetzgeber vorgesehen, dass die Genehmigungsbehörde entsprechende Ausnahmen im Interesse der öffentlichen Sicherheit oder aus anderen zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses zulassen kann, wenn zumutbare Alternativen nicht gegeben sind und sich der Erhaltungszustand der Population einer Art nicht verschlechtert (§ 45 Abs. 7 BNatSchG).
Auch für die Ausnahmeprüfung hat der Gesetzgeber für WEA nun eine Standardisierung eingeführt. Sinn und Zweck ist es, die Ausnahmeprüfung zu erleichtern und rechtssicherer auszugestalten (BT-Drs. 20/2354).
Nach § 45b Abs. 8 Nr. 1 BNatSchG liegt der Betrieb von WEA im überragenden öffentlichen Interesse und dient der öffentlichen Sicherheit. Dieselbe Wertung findet sich auch im neuen § 2 EEG. Der Gesetzgeber räumt damit der Errichtung von WEA einen besonderen Stellenwert auch gegenüber dem Artenschutz ein.
Hinsichtlich der „zumutbaren Alternativen“ schränkt § 45b Abs. 8 Nr. 2 BNatSchG den Suchradius für den Betreiber ein. Bei Gebieten, die in einem Raumordnungs- oder Flächennutzungsplan für Windenergie ausgewiesen sind, sind Standortalternativen außerhalb dieser Gebiete immer unzumutbar. Der Gesetzgeber hat damit die bisherige Verwaltungspraxis in verschiedenen Bundesländern einheitlich festgeschrieben.
Gleichzeitig verknüpft der Gesetzgeber den Artenschutz mit den Flächenbeitragszielen der Bundesländer (vgl. auch in diesem Newsletter). Die Unzumutbarkeit in § 45 Abs. 8 Nr. 2 BNatSchG gilt nämlich nur solange bis das Flächenziel in dem jeweiligen Bundesland erreicht wird (§ 45b Abs. 8 Nr. 2 BNatSchG).
Darüber hinaus soll der Suchradius für die Alternativprüfung generell auf 20 km begrenzt sein (§ 45 Abs. 8 Nr. 3 BNatSchG). Einzig für Vorhaben, die im besonders geschützten Natura 2000-Gebiet liegen, ist der Suchradius weiterhin nur durch die Zumutbarkeitsschwelle des § 45 Abs. 7 BNatSchG begrenzt.
Hinsichtlich einer auszuschließenden Verschlechterung der Population hat der Gesetzgeber zwei wesentliche neue Kriterien eingeführt. Nach § 45 b Abs. 8 Nr. 4 BNatSchG kommt es entscheidend auf den Erhaltungszustand der durch WEA betroffenen lokalen Population an. Gleichzeitig ist der Erhaltungszustand auch dann gewahrt, wenn sich zwar der Zustand der lokalen Population verschlechtert, der Zustand der Population im Bundesgebiet nicht verschlechtert. Dabei werden Sicherungsmaßnahmen mitberücksichtigt (§ 45b Abs. 8 Nr. 5 BNatSchG). Diese Standardisierung kann in den Genehmigungsverfahren sicher helfen. Es wird wegen des bundesweit anzusetzenden Erhaltungszustandes aber sehr wahrscheinlich – vor allem mit dem Verweis auf das Unionsrecht – noch entsprechende Einwände und Diskussionen geben.
Fazit, Auswirkungen auf die Praxis
Die neuen Regelungen zum Artenschutz sind vielversprechend und lassen hoffen, dass Genehmigungsverfahren sich zukünftig beschleunigen. Dies gilt zunächst für die lange geforderte bundeseinheitliche Einführung von Abstandsregelungen und jeweils relevanter Untersuchungsmaßnahmen.
Weiterhin helfen auch die Standardisierungen und ausdrücklich geregelten Beispiele für Schutzmaßnahmen.
Schließlich helfen der erhöhte Stellenwert von WEA als überragendes öffentliches Interesse, erleichterte Genehmigungsmöglichkeiten für WEA zu schaffen.
Wie bei derart umfangreichen Neuregelungen nicht anders zu erwarten, ergibt sich jedoch nicht unerheblicher Auslegungs- und Diskussionsbedarf z.B. bei dem Umfang von Schutzmaßnahmen und für Ausnahmen. Insoweit muss sich noch zeigen, ob sich der übliche Untersuchungsumfang tatsächlich verringert. Je nach Standortbeschaffenheit sollten Betreiber hier überlegen, welche Untersuchungen wie z.B. eine weniger aufwändige Habitatpotentialanalyse sich eignen kann, um ein Genehmigungsverfahren tatsächlich zügiger und gleichzeitig rechtssicher durchführen zu können.