Vergabe 4: Was tun, wenn viel zu teure Angebote eingehen?
Ist es dem Auftraggeber gelungen, viele Angebote für seine Ausschreibung zu generieren, kommt es gerade auch mit Blick auf die aktuellen, massiven Preissteigerungen vor, dass dies Angebote deutlich über dem vom Auftraggeber geplanten Kostenrahmen liegen. Es stellt sich also die Frage, was der Auftraggeber tun kann, wenn die Angebote aus seiner Sicht zu teuer geworden sind.
Hier hilft zunächst § 17 EU VOB/A weiter: Demnach darf der Auftraggeber die Ausschreibung aufheben, wenn „schwerwiegende Gründe bestehen“.
Schwerwiegende Gründe für die Aufhebung einer Ausschreibung
Ein schwerwiegender Grund, der die Aufhebung einer Ausschreibung rechtfertigen kann, liegt immer dann vor, wenn eine Ausschreibung kein wirtschaftliches Ergebnis erzielt hat. Ausgangspunkt für die Bewertung der Wirtschaftlichkeit der Angebote ist dabei die vom Auftraggeber vor Beginn der Ausschreibung zu erstellende Kostenschätzung. Die Kostenschätzung muss aber bestimmten Anforderungen genügen, um die Aufhebung eines Vergabeverfahrens rechtfertigen zu können. Dabei gilt grundsätzlich, dass die Kostenschätzung unter Berücksichtigung aller verfügbaren Daten und Erkenntnisse in einer dem Ausschreibungsgegenstand angemessenen und methodisch vertretbaren Weise erarbeitet werden muss. Die Kostenschätzung ist daher dann für die Bewertung der Wirtschaftlichkeit der eingegangenen Angebote maßgebend, wenn diese Prognose aufgrund der bei ihrer Aufstellung objektiv vorliegenden und erkennbaren Daten vertretbar erscheint.
Kostenschätzung muss verlässlich („richtig“) gewesen sein!
Das ist dann nicht der Fall, wenn die Kostenschätzung auf erkennbar unrichtigen Daten beruht, insbesondere, wenn sie eine vorhersehbare Kostenentwicklung unberücksichtigt lässt oder ungeprüft und pauschal auf anderen Kalkulationsgrundlagen beruhende Werte übernimmt. Der Auftraggeber muss also eine Methode wählen, die ein wirklichkeitsnahes Schätzergebnis ernsthaft erwarten lässt. So müssen die Gegenstände der Schätzung und der ausgeschriebenen Maßnahme müssen deckungsgleich sein. Ausgangspunkt ist das Leistungsverzeichnis, das der konkret durchgeführten Ausschreibung zugrunde liegt. Das Ergebnis der Schätzung ist verwertbar, soweit das der Schätzung zugrundeliegende Leistungsverzeichnis mit dem Leistungsverzeichnis der Ausschreibung übereinstimmt. Zieht der Auftraggeber für die Kostenschätzung also das Leistungsverzeichnis einer anderen Ausschreibung heran, muss er Leistungen die in der Ausschreibung nicht abgefragt werden, aus dem Leistungsverzeichnis streichen. Preis oder Preisbemessungsfaktoren, die im Zeitpunkt der Bekanntmachung des Vergabeverfahrens nicht mehr aktuell sind oder sich nicht unerheblich verändert haben, muss er anpassen. Auch die Anpassung (oder den Verzicht darauf) muss er dem Umfang nach begründen (OLG Düsseldorf, MZ Bau 2019, S. 195 ff.; Beschluss vom 29.08.2018 – VII-Verg 14/17; VK Rheinland, Beschluss vom 23.04.2019 – VK6/19).
Preissteigerungen müssen Berücksichtigung gefunden haben
Das bedeutet unter den aktuellen Bedingungen natürlich auch, dass der Auftraggeber bei der Kostenschätzung die aktuellen Preisentwicklungen der jüngeren Vergangenheit aber auch die für die nähere Zukunft zu erwartenden Preisentwicklungen in der Kostenschätzung berücksichtigen muss und darlegen und dokumentieren muss, wie er diese Preissteigerungen ermittelt und festgelegt hat. Mit anderen Worten: corona-bedingte Kostenentwicklungen müssen also bei der Erstellung der Kostenberechnung berücksichtigt werden.
Aufschlag auf die Kostenschätzung ist einzurechnen
Hat der Auftraggeber eine belastbare Kostenschätzung entwickelt, muss er der Tatsache Rechnung tragen, dass es sich um eine auf Werten der Vergangenheit beruhende Prognose handelt und seiner Wertermittlung noch einen Aufschlag hinzufügen. Wie hoch dieser Aufschlag zu sein hat, ist wieder eine Frage des Einzelfalls. Hier lassen sich keine abstrakten Werte festlegen. Das hängt sowohl von der konkreten Materie aber auch von der Gesamtsituation des Auftrags ab. Als Richtgröße wird man aber wohl davon ausgehen müssen, dass ein solcher Aufschlag mindestens 10 % betragen muss.
Aufhebungsentscheidung ist Ermessensentscheidung
Ist vor diesem Hintergrund kein wirtschaftliches Ergebnis eingegangen, ist die Aufhebung des Vergabeverfahrens immer noch kein Automatismus. Die VOB/A räumt den Auftraggebern hier ein Ermessen ein. Das hat zur Folge, dass die Auftraggeber vor der Aufhebung eines Vergabeverfahrens die Interessen der Bieter und die Handlungsalternativen zur Aufhebung abwägen und
dokumentieren müssen.
Weiteres Vorgehen nach der Aufhebungsentscheidung
Konnte der Auftraggeber vor diesem Hintergrund die Ausschreibung rechtmäßig aufheben, stellt sich die Frage, wie es weitergeht. Hier sieht § 3a Abs. 3 EU VOB/A vor, dass der Auftraggeber ein Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb durchführen darf. In der hiesigen Konstellation, in der keine wirtschaftlichen und damit nur unannehmbare Angebote eingegangen sind, muss er allerdings diese Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb mit allen und ausschließlich den geeigneten Bietern aus dem aufgehobenen Verfahren fortführen.
Der Vorteil ist dann, dass der Auftraggeber in dem Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb mit den Bietern über ihre Angebote verhandeln darf und zwar mit dem Ziel, diese inhaltlich zu verbessern. Er ist also nicht mehr, wie beim offenen Verfahren, darauf beschränkt, Angebotsinhalte aufzuklären und möglicherweise unauskömmliche Angebote herauszufiltern, sondern er darf tatsächlich inhaltlich mit den Bietern zum Beispiel über die Höhe konkreter Preispositionen verhandeln.